Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1881. (22)

260 Das denische Reich und seine einelnen Glieder. (Oct. 9.) 
Ein Rücktritt des Ministeriums Lutz ist jedenfalls sehr unwahr- 
scheinlich und selbst starke Abstriche in seinen Budgetforderungen 
dürften dasselbe kaum dazu veranlassen. 
9. October. (Deutsches Reich.) Herr. v. Bennigsen hält 
auf einem nationalliberalen Parteitag in Magdeburg eine große 
Rede, in der er sich gegen die Fortschrittspartei über die Vergangen- 
heit und gegen die geplante conservativ-ultramontane Partei über 
die Zukunft der nationalliberalen Partei offen ausspricht und gegen 
die Regierung das Tabakmonopol, den Staatssozialismus und einen 
unter Preisgebung der unveräußerlichen Rechte des Staats von den 
Conservativen und Ultramontanen angestrebten Ausgleich mit Rom 
entschieden ablehnt. Eine Stelle in seiner Rede gibt Veranlassung 
zu Enthüllungen über den vor 3 Jahren beabsichtigten Eintritt Ben- 
nigsens und seiner Freunde in das preußische Ministerium und in 
die Reichsämter. 
Die Stelle lautet: „Kaum drei Jahre sind es her, daß an meiner 
Stellung zum Tabakzmonopol die damalige Combination, welche der Reichs- 
kangler sel bst ernstlich wünschte, mein Eintreten und das anderer liberaler 
Männer ins Ministerium und in die Reichsämter scheiterte, hauptsächlich 
wenn auch nicht allein, weil ich es ablehnte, die Verantwortlichkeit für die 
Durchführung des Monopols zu übernehmen.“ Dieser Behauptung gegen- 
über wird nun von der „Nordd. Allg. Ztg.“ in zwei Artikeln aufs Be- 
stimmteste behauptet, daß der Eintritt v. Bennigsen's in das preußische 
Ministerium und in die Neichsregierung nicht am Tabaksmonopol, sondern 
au der Forderung Bennigsen's, daß das Ministerium des Jnnern gleichzeitig 
Herrn v. Forckenbeck übertragen werden solle, gescheitert sei, indem der Reichs- 
kanzler dieß auischirden abgelehnt habe. Ende 1878 und in den ersten 
Tagen 1879 habe der Reichskanzler das Tabakzmonopol wohl als sein 
„Ideal“ bezeichnet, aber noch nicht daran gedacht, es als Bedingung für 
einen Minister aufzustellen, weder gegenüber Camphausen noch gegenüber 
Hobrecht. „Warum sollte der Reichskanzler gerade Herrn v. Bennigsen 
Fegenüber hierin strenger monopolistisch verfahren sein, da bei diesem Staats- 
mann die Bedeutung seines Eintritts vielmehr in seinem politischen Gewicht, 
als in seiner Stellung zu einzelnen technischen Fragen lag. Die Thatsache 
ist die, daß im Februar und März, auch wenn Herr v. Bennigsen sich bereit 
erklärt hälte, überzeugt und energisch für das Labakzmonopol eintreten zu 
wollen, der Moment für seinen Eintritt in das Ministerium doch schon ver- 
säumt war: Schon zu Anfang des Januar 1878 war die Fortsehzung der 
Verhandlungen mit Herrn v. Bennigsen auf Grund erstatteter Berichte Aller- 
öchsten Orts inhibirt worden, ohne daß hierbei das Lakalzmonupo. über- 
gache zur Sprache kam, der Moment des Scheiterns der Combination lag 
also in den ersten Tagen des Jannar, der Tabak kam erst Ende Februar 
und Anfang März mit jestgestelltem Programm zur Sprache. Am 14. Febr. 
war der bis dahin an's Krankenlager gefesselte Reichskanzler in Berlin ein- 
getroffen, und erst nach seiner Ankunft wurde die Stellung des preußischen 
Staatsministeriums zur Tabaksfrage definitiv gercgel. Wir glauben hiermit 
unwiderleglich den Beweis geführt zu haben, daß Herr v. Bennigsen sich 
irrt, wenn er glaubt, daß die damalige Ministercombination an der Mono- 
polfrage gescheilert sei. Nöthigenfalls gestatten die vorhandenen Materialien 
  
 
	        
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