262 1½ deulsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Oct. 9.)
dann auf ihre Unterstühung allerdings hätte rechnen können, hat den Kanzler
mehr ernüchtert, als die Forderung eines Portefeuilles für Forckenbeck oder
der „constitukionellen Garantieen;“ er sah, daß ebenso Bennigsen wie dessen
politische Partei auch bei dem Eintritt des ersteren in die Regierung eine
selbständige Meinung behalten wollten, und darum verlor er das Interesse
an der Combination, ohne sie übrigens völlig aufzugeben — bis Bennigsen
am 23. Februar 1878 seinen Rücktritt von derselben erklärte.“ Weiter wird
von einem „Eingeweihten" der „Voss. Zig.“ über die Verhandlungen Bis-
marcks mit Bennigsen Folgendes geschrieben: „Die Siluation war im
December 1877 ekwa diese. Das Reich resp. der Militäretat machte erhöhie
Anforderungen an die Steuerkraft. Eine Erhöhung der directen Steuern
erschien unmöglich. Bismarck suchte nach neuen Finanzquellen und hatte
Finanzzölle ins Auge gefaßt. Es war sein alter Ged anke, mehr und mehr
die directen Steuern durch indirecte zu ersehen. Dazu bedurfte er einer
Majorität im Parlament, und so kam sein altes Verlangen nach einer Mittel-
partei, die er sich aus den Nationalliberalen mit Abstoßung ihres linken
Flügels und aus den Freiconservativen zusammengesetzt dachte. Auch standen
Veränderungen im Ministerium bevor. Mit Camphausen, dem Finanzminister
und Vicepräsidenten des Staatsministeriums war der Reichskangler nicht
mehr zufrieden, Camphausen bereit zu gehen. Graf Euleuburg, der Minister
des Innern, lebte längst mit Bismarck auf gespanntem Fuße und war bereits
für längere Zeit beurlaubt. Der Cultusminister Falk war nicht minder
zum S#n: bereit; denn er wußte, daß seine Kirchenpolitik den „Beifall
des Monarchen nicht mehr hatte. Alles das bereitete sich vor. Da nun
lud Fürst Bismarck Herrn v. Bennigsen nach Varzin. Er eröffnete ihm,
wenn auch nur in allgemeinsten Umriffen, seine Finanzpläne und bot ihm
ein Ministerium des Innern oder das Finanzministerium, sowie den stell-
vertretenden Vorsitz im Ministerium an, wenn Bennigsen die nationalliberale
Fraclion für jene Finanzpläue zu gewinnen und Lasker, sowie dessen An-
hänger zum Austritt aus der Fraction zu bestimmen vermöge. Der Wunsch
des Kanglers ging, wie gesagt, auf eine Annäherung der Nationalliberalen
anu die Freiconservativen resp. Reichspartei, womöglich Verschmelzung beider
ssiaetiomen. Bennigsen hat als perfecter Gentleman geantworket: Des Kanz-
ftn Finanzpläne versprach er nach Mögiichteit zu unterstützen; binden könne
er weder sich noch seine Partei, "6 he die Pläne detaillirt vorlägen. Den
Austrikt Laskers aus der Fraction zu veranlassen, lehnte er rundweg ab.
Zur Uebernahme des Finasmimsteiluns erklärte er sch bereit, wenn sich
die Regierung durch liberale Elemente kräftige. Er machte zur Bedingung,
daß Forckenbeck Minister des Innern und Migquel (Falks Rüatrilt stand ja
damals schon fest!) Culiusminister werde. Es handelte sich für Bennigsen
um das preußische Ministerium, besonders um einen liberalen Minister des
Innern und einen liberalen Cultusminister. Bismarck lehnte den Eintritt
Forckenbecks in das Ministerium augenblicklich ab. Er könne ihn wegen
seiner Haltung in der Conflictszeit dem König nicht vorschlagen. Vielleicht
war's, wie der Berichterstatter meint, weil er einen Vertrauensmann des
Kronprinzen nicht im Minislerium mochte. Gegen Miquel als Cultusminister
halte Bismarck weniger einzuwenden; indeß meinte er, werde er schwerlich
den König # bestimmen vermögen, gleichzeitig zwei liberale Minister zu
ernennen. Dagegen wäre er bereit gewesen, den Freiherrn v. Stauffeuberg
zu einem Reichsamt zu berufen. Bennigsen hätte das Lewtere hocherfreut,
aber vor allem kam es ihm auf einen liberalen Character des preußischen
Ministeriums an. Er reiste von Varzin ab, doch waren die Unterhand-
lungen mit Nichten geschlossen. Als Bismarck nach Berlin kam, wurden sie
forkgeseht. Allein s mehr des Kanglers Finanzpläne Gestalt gewannen,