Das deulsche Reich und seine rinzelnen Glieder. (Oct. 10.) 263
desto mehr mußle Bennigsen zweifeln, die Nationalliberalen dafür zu ge-
winnen, und das war ja die Bedingung seines Eintritts in das Ministerium.
Als der Kanzler gar mit dem Tabaksmonopol herausrückte, dessen entschie-
dener Gegner Bennigsen wen hielt dieser die Verhandlungen für abgebrochen,
und sie waren es in der That. * Eudlich erklärt Hr. v. Stauffenberg
als einer der Betheiligten: „Von dem Augenblick an, als der Staatsminister
Delbrück aus der Reichsregierung ausschied, haben die Dinge, aufangs erst
langsam und unmerklich eine verhängnißpolle Wendung genommen. Es
wurde versichert, daß dieser Austritt nicht aus Meinungsverschiedenheiten
geschehen sei, jedoch die Erfahrungen der späteren Jahre haben zu evident
gezeigt daß man sich mit dieser Erklärung in Selbsttänschung befunden.
Der Ursprung der späteren fundamentalen Umlehr lag hier begründet. Kurz
nach dieser Zeit hat sich jene Episode abgespielt, auf welche in neuesten Aus-
lassungen wieder Bezug genommen worden ist, die Verhandlungen mit Ben-
nigsen wegen seines Eintritts in das Ministerium. Bezüglich dieser Unter-
handlungen hat Hr. v. Bennigsen jüngst wieder einige Mittheilungen in
Magdeburg. gemacht, und diesen Mittheilungen gegenüber ist die „Nordd.
Allg. Zig.“ mit der Enthüllung gekommen, daß schon im Anfang jenes
Jahres, mehrere Wochen vor dem formellen Abbruch der Verhandlungen, die
Absicht, die Unterhandlungen fortzuführen, definitiv aufgegeben gewesen sei.
Wie überraschend diese Enthüllungen allen Betheiligten gekommen, ist schwer
zu sagen. Am meisten überrascht wird Hr. v. Bennigsen gewesen sein, der
in der ganzen Sache als ein wahrer Gentleman gehandelt hat. Ich kann
die Erzählung des Sachverhaltes, die er in Magdeb urg. zi als Augen-
und Ohrenzeuge nur wortwörtlich bestätigen.“" Und ebenso Forckenbeck:
„Die Verhandlungen schwebten noch, bis die bekannte —xt' stattfand, in
wolcher der Reichskanzler zum erstenmal das Tabakmonopol als sein Ideal
erklärte. Ich erinnere mich ganz deutlich. Ich präsidirte in dieser Sihung,
und als diese Vorgänge und Reden vorüber waren, kam Hr. v. Bennigsen
zu mir zum Pröäsidentenstuhl mit folgenden Worken: „Forckenbeck, für das
Tabakmonopol können wir doch nicht mitgehen und wirken. Wenn Sie ein-
verstanden sind, dann gehe ich jeyzt unmittelbar zum Hen. Reichskanzler hin
und sage, daß er auf uns nicht mehr zu rechnen habe.“ Ich sagte ihm, ich
wäre damit vollständig einverstanden; er ging hin, und nach einer Stunde
erzählte e er mir, daß mit dem Reichskanzler die Verhandlungen abgebrochen
seien. Das kann ich der Wahrheit gemäß hier bestätigen.“
10—20. October. (Deutsches Reich.) Hochverrathsproceß
vor dem Reichsgericht in Leipzig gegen die 15 im Frühjahr in
Frankfurt, Darmstadt 2c. gefänglich eingezogenen Sozialdemokraten
Most'scher Richtung.
Die Angeklagten sind sämmtlich Arbeiter mit Ausnahme des Bel-
giers Dave, der den gebildeten Classen angehört und als die Seele der hoch-
verrätherischen Umtriebe erscheint. Vier der Angeklagten werden vom
richte wegen Beweismangels freigesprochen, zwei wegen Verbreitung ver-
botener Schriften zu Gefängnißstrafe, die übrigen 9 dagegen auf Zuchthaus
bis zu 2 Jahren und 6 Monaten nebst Ehrverlust wegen Vorbereitung zum
Hochverrath verurtheilt. Aus den mündlich erläuterten Gründen des Ge-
richts geht hervor, daß dasselbe die ein hochverrätherisches Unternehmen vor-
bereitende strafbare Handlung hauptsächlich in der den Angeklagten nach-
gewienen Gruppenbildung gefunden, dabei aber auch Gewicht darauf ge-
at, daß die Augeklagten durch Verbreitung der „Freiheit“ und durch
gechpt, VBerhalten die revolutionären Dae#en bethätigt und gefördert
haben, welche die Grundlage ihrer Gruppen bildeten.