Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1881. (22)

Das deuische Reich uud seine einjeluen Glieder. (Oct. 20-21.) 265 
Reichspartei im Verlaufe des langen Wahlkampfs mehr und mehr auf den 
Standpunct der conservativen Partei gedrängt worden ist und, wie dieß die 
Haltung der „Post" in der letzten Zeit deutlich hat erkennen lassen, die 
Fühlung mit der Partei Bennigsen ganz verloren hat. Eine Partei, die 
sich entschließen kann, für Stöcker zu stimmen, nur um die Wahl Virchows 
zu verhindern, lieferi kein Material mehr zur Bildung einer liberal-conser- 
vativen Mittelpartei. In diesem Falle würde also das Centrum, dessen Besitz- 
stand vorerst geradezu unaufechtbar ist, noch mehr als bisher in die ent- 
scheidende Stellung einrücken und das Zünglein der Wage ganz ausschließlich 
nach rechts oder links lenken, je nachdem es den Führern des Centrums gefällt. 
20. October. (Preußen.) Der staatlich abgesetzte Fürst- 
bischof Förster auf Schloß Johannisberg im österr. Theile seines 
Bisthums. 
21. October. (Bayern.) Die ultramontane Mehrheit der 
II. Kammer erläßt folgendes von allen Mitgliedern derselben unter- 
zeichnete Programm: 
„§ 1. 1) Wir verlangen, entgegen den modernen Begriffen vom 
omnipotenten Staate, Wiederherstellung der christlichen Staatsordnung und 
damit Anerkennung und Verwirklichung der christlichen Grundsätze auf allen 
Gebieten des öffentlichen Lebens. 2) Die religiösen Ueberzeugungen unserer 
Mitbürger achtend und jeder Confession freie Bewegung gönnend, verlangen 
wir für die katholische Kirche in Bayern jene jelbständige Stellung und 
Wirksamkeit, welche sie nach dem mit dem hl. Stuhle abgeschlossenen Con- 
cordate und dem Tegernseer Königsworte anzusprechen berechtigt ist. ins- 
besondere bezüglich: a) Besetzung ihrer Aemter; b) Heranbildung * Priester; 
e) Ausübung ihrer Disciplin; d) Anordnung und Leitung des Religions= 
unterrichts an den Mittel- und Volksschulen; e) der Mitaufsicht über die 
gnze Schule und Geltendmachung des ihr gebührenden Einflusses. Pamerkkliche 
ei Besehzung der Lehrstühle der Theologie und Philosophie an den stiftungs- 
gemäß katholischen Universitäten und Lyceen, — bei Besehng der Religions= 
ehrerstellen an den Mittelschulen und den denselben gleichstehenden Bildungs- 
anstalten, — bei Feranb ldung der Volksschullehrer, — bei Auswahl der 
Lehrmittel für die Mittel= und Volksschulen; 1) der Errichtung und Leitung 
von kirchlichen Anstalten und Genossenschafken, welche der Erziehung dund 
dem Unterrichte, der Wohlthätigkeit oder der Frömmigkeit dienen. 3) E 
gegen dem modernen Schulmonopole und dem in öffentlichen zind ich 
anstalten überhandnehmenden Materialismus und Indifferentismus und unter 
Wahrung des elterlichen Erziehungsrechtes verlangen wir: a) Beseitigung 
der unchristlichen Doctrinen aus allen Schulen; b) Wiederherstellung des 
confessionellen Characters der Mittel= und Volksschulen; c) Reduction des 
übermäßigen Lehrstoffes an denselben; d) Beschränkung der Dauer des ver- 
ordnung maßigen Schulbesuches. 4) Wir verlangen, daß die christlich-gläu- 
bige Gesinnung im Volle erhalten und gefördert werde und wie in Unter- 
richt und Erziehung, Wissenschaft und Bildung, so auch in der Gesetzgebung 
und im öffentlichen Leben zur Richtschnur werde. Demgemäß fordern wir: 
a) Unwerlehlichkeit des Zweckes der kirchlichen Stiftungen für Cultus, Unter- 
richt und Wohlthätigkeit; b) Beseitigung aller jener gesetlichen oder verord- 
nungsmäßigen Bestimmungen, welche mit den Grundsäten des Christenthums 
in Widerspruch stehen, daher insbesondere Aufhebung des Reichsgesehes über 
die Eheschließung und Verschärfung der geseylichen Bestimmungen über 
Wucher und Verletzung der Sittlichkeit; c) strengere Bestimmungen über 
  
  
  
  
 
	        
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