Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1881. (22)

266 Das deulsche Rrich und seine einzelnen Glieder. (Oct. 22.) 
Heiligung der Sonn= und Feiertage, über Abhaltung öffentlicher Lustbarkeike#n 
und den Besüch derselben, sowie der Wirthshänser durch die heranwachsende 
Ingend. — § 2. Der föderative Character des Reiches ist durch die Reichs- 
verfassung begründet und durch die Versailler Verträge anerkannt und ge- 
währleistet. Wir fordern deshalb Aufrechthaltung der souveränen Selb- 
ständigkeit Bayerns unter seinem angestammten Königshause und Arengiie 
Wahrung nicht blos der bayerischen Neservatrechte, sondern auch aller son- 
stigen, den einzelnen Bundesstaaten bei Gründung des deutschen Reiches ver- 
bliebenen Rechte. Ebenso verlangen wir ungeschmälerte Erhaltung der dem 
Reichstage zustehenden Befugnisse bezüglich Bewilligung und Verwendung 
der Reichseimnahmen. Ferner fordern wir für die Reichstagsabgeordneten 
Gewährung von Diäten, für die bayerische Kammer der Abgeordneten directe 
Wahlen mit geheimer Astimmung in gesehlich festgestellten Wahlkreisen. — 
§. 3. Um eine Herabsetzung der drückenden Steuern und Abgaben herbeizu- 
führen und der Landwirkhschaft und dem Gewerbe die schwervermißten Ar- 
beitskräfte zurückzugeben, dringen wir auf namhafte Abminderung des un- 
geheueren Aufwandes für militärische Zwecke, zunächst der Dienstzeit und 
der Friedenspräsenzstärke. Behufs Besserung der bestehenden sozialen Zu- 
stände verlangen wir ferner: Beschränkung der allgemeinen Wechselfähigkeit, 
Revision der Actien= und Börsengesehgebung, Herabsetzung der Gerichtskosten 
und Anwaltsgebühren, namentlich aber Revision des Reichsgesezes über die 
Freizügigkeit und der bayerischen Gesehe über Heimath, Verehelichung und 
Aufenthalt und über öffentliche Armen= u. Krankenpflege. Außerdem wollen 
wir: streugste Berücksichtigung und Förderung der Landwirtschaft, Hebung 
des landwirthschaftlichen Creditwesens und eine auch den landwirthschaft- 
lichen Interessen entsprechende Revision des Forstgesetzes, — ferner Nevifion 
der Gewerbeordnung unter Schaffung obligatorischer mit allen nothwendigen 
Befugnissen ausgerüsteter Innungen, Abschaffung der Wanderlager und weit- 
gehendste Beschränkung der Waarenauctionen und des Hausirhandels, — 
Unterstützung des Arbeiterstandes durch Invaliden= und Altersversorgungs= 
cassen auf genossenschaftlicher Grundlage, durch Aufhebung der Sonntags- 
arbeit und thunlichste Beschränkung der Kinder= und Frauenarbeit, — Ver- 
meidung jeder weiteren Erhöhnng der Volkslasten durch Vereinfachung der 
Staatsverwaltung und Sparsamkeit in allen Zweigen des Staatshaushalts.#— 
& 4. Wir betrachten es als unsere Pflicht, mit allen verjfassungsmäßigen 
Mitteln dahin zu wirken, daß diese unsere Grundsähe zunächst in unserem 
eigenen Lande und durch die Vertretung Bayerns beim Bundesrathe auch im 
Reiche zur Annahme und Geltung gelangen.“ München, den 21. Oct. 1881. 
Folgen die Unterschriften. 
Man kann wohl sagen, daß das Bestreben zur Wo eines 
Kirchenstaats in Deutschland noch kaum je so unverhüllt hervorgetreten ist 
wie in diesem Programme. Daß es ausgeführt werde, dam ist nicht zu 
denken, das glaubt ohne Zweifel ein guter 2 Theil der gemäßigten Unterzeichner 
desselben selbst nicht. Die „Angsb. Postztg.“, ein gemähige derkales Blatt, 
erklärt es unumwunden für geradezu unausführbar. In der That würde 
die Ausführung desselben Bayern den Character eines modernen Staats, 
eines europäischen Culturslaats rauben. Herr Dr. Rittler will das aller= 
dings und hofft es wohl auch durchseyen zu können. Allein ein solches 
Programm als Basis einer regierenden Kammermehrheit hätte man vielleicht 
einem der früheren ikalienischen Kleinfürsten bieten konnen, nicht einem 
König von Bayern im heutigen deutschen Reiche. 
22. October. (Bayern.) II. Kammer: die ultramontane 
Mehrheit kündigt drei Anträge an, den ersten auf Beseitigung der 
  
 
	        
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