276 Has deulsche Reich und seine rinzelnen Glieder. (Nov. 10—1I.)
bilden. Der langjährige Kampf Vizmarcks mit dem Centrum lasse hiezu
andere an Kämpfen unbetheiligte Personen geeigneter erscheinen als Bis-
marck, der jenen Kampf, gestüht auf die frühere grohe nationalliberale
Partei, glaubte führen zu können, denselben aber aufgeben mußte, als ihn
nach dem Mißlingen der Verhandlungen mit Bennigsen die liberale Partei
im Stiche ließ. Nachdem dieselbe die Führung an radicalere Elemente ver-
loren, sei der Weg, welcher der Negierung bis 1877 vorschwebte, ungangbar
geworden. Für neue ie dürste die Verantwortlichkeit besser an einen
Staatsmann übergehen, welcher die Antecedenzien des Reichskanglers nicht habe.
10. November. (Bayern.) Das „Vaterland“ des Dr. Sigl,
ein Organ der extrem-ultramontanen Partei, stellt über das nach
einem lebhaften Wahlkampfe zu Gunsten des ultramontanen Can-
didaten ausgefallene Resultat der Stichwahl in München folgende
beachtenswerthe Betrachtung an:
Der Inbel im „patriotischen“ Lager ist begreiflicherweise groß, das
„Datriolische“ Selbüibnonhsein noch um elliche Grade gestiegen. Antiliberal
ist jett ebenso Mode, wie vor 10 Jahren es Mode Var, liberal zu sein.
Allein es fehlt dieser gegenwärtigen Strömung die ethische Grundlage,
wenigstens bei den meisten; der Haß gegen deu liberalen Geldsack ist
es, der die Meisten in's antiliberale Lager getrieben hat und dieser zu-
nehmende Haß, welcher heute noch „patriotisch" wählt, lediglich im Gegensat
zu liberal, wird bei dem „Patrioten“ nichl stehen bleiben, wenn der nichts
weiter leistet und zu bieten hat. Es ist das nicht eine .„conervative“ Strö-
mung — denn man will nicht Erhaltung, sondern Aenderung der gegen-
wärtigen Zustände — sondern ein durchaus demokratischer Zug. der
in München wie anderwärts oppositionelle Siege herbeiführt, den Liberalis=
mus niederstimmt und bei den nächsten Wahlen eine andere Form suchen
wird, wenn die gehegten Hoffnungen und Erwartungen von den #eznal Ge-
wählten geläuscht werden. Es wäre thöricht, wollte man annehmen, daß
die Wahlsiege in München aus Begeisterung für Ruppert oder gar Wester-
mayer erlangt worden sind; der Haß gegen den Liberalismus, der den größten
eldsack hat, und was er geschaffen, die unbewußte demokratische
Strömung im Balle sind Grund und Ursache danser Wahlsiege trohz Wester-
mayer nn Ruppe
· (Deutsches Reich.) In Berlin tritt der
erste 4½ Congre für Armenpflege und Wohlthätigkeit zusammen.
lbe ist von ektwa 130 0 Personen, vorwiegend aus Nord= und
mitrrhn besucht. Süddeutschland ist nur schwach vertreten. Es
d die Gründung eines deutschen Vereins für Armenpflege und Wohl-
webngete beschlossen, der die zerstreuten Reformbestrebungen auf diesem Ge-
biete zusammenfassen und unter den auf demselben thätigen Personen fort-
gesehte gegenseitige Aufklärung vermitteln will.
11. November. (Baden.) Der Großherzog ist ernstlich er-
krankt, so daß man sogar für sein Leben befürchtet. Er ernennt
deßhalb den Erbgroßherzog zu seinem Stellvertreter in der Regierung
des kundee.
„ ganze Land befindet sich in fieberhafter Aufregung. Die große
Verehrig und hingebende Liebe, welche man diesem Musterregenten, einem