Das deuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. 17.) 279
schrittspartei Eugen Richter hält vor seinen Wählern in Berlin
eine große Rede, in der er seine und seiner Parlei Aussichten und
Absichten, Hoffnungen und Wünsche unumwunden darlegt, und also
schließt:
„Bielleicht wird die nächste Landtagssession bedeutsamer als die Reichs-
tagssession sein. Man wird die Zusammenfehung des Landlags vielleicht
noch ansnutzen, bis es hoffentlich im nächsten Herbst gelingt, einen Schub
von hundert Conservativen aus dem Landtage herauszubringen. Dieser Reichs-
tag wird noch ein Uebergangsreichstag sein Der Schwerpunct unserer po-
litischen Thätigkeit muß daher weniger in das Parlament fallen, als darin
bestehen, im Lande die nächsten Wahlen noch besser vorzubereiten als bisher.
Eine neue und dazu wirklich freie Wahl ohne ungehörige Beeinflussungen
wird sofort eine entschieden liberale Mehrheit dem Reichstage zuführen.
Spätestens in drei Jahren, vielleicht, wenn gewisse Eventualitäten eintreten.
woch, früher, muß eine solche Neuwahl erfolgen; sie wird alsdann auch einen
Reichstag schaffen, welcher die Kraft hat, ein positives liberales Programm
durchzuführen. Diese Zukunft müssen wir mit allen Kräften vorbereiten,
die unon haben keine Zukunft mehr.“
7. November. (Deutsches Reich.) Eröffnung des Reichs-
tags. 2# der Kaiser durch ein leichtes Unwohlsein in letzter Stunde
verhindert ist, den Reichstag selbst zu eröffnen, verliest der Reichs-
kanzler folgende „Botschaft“ desselben.
„Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser und König von
Preußen, thun kund und fügen hiemit zu wissen: Wir haben den im vorigen
Reichstage kundgegebenen Wünschen entsprechend, dem früheren Brauch ent-
hegen, den Reichstag noch im laufenden Jahre berufen, um seine Thätigkeit
Zunächst für die Feitstellung des Reichshaushal sctats in Anspruch zu
nehmen. Der Entwurf wird dem Reichstag unverzüglich zugehen. Derselbe
zeigt ein erkreuliches Bild der vorschreitenden finanziellen Entwicklung des
Reiches und der guten Erfolge der unter Zustimmung des Reichstages ein-
geschlagenen Wirthschaftspolitik. Die Steigerung der den einzelnen Bundes-
staaten vom Reich zu überweisenden Beträge ist erheblich höher als die Stei-
Krung der Matricularbeiträge. Daß der Gesammtbetrag der lehteren im
ergleiche mit dem laufenden Rechnungsjahr eine Erhöhung erfahren hat,
sindet seine Begründung in Einnahmeausfällen und in Bedürfnissen, welche
im Interesse des Reichs nicht abzuweisen sind. — Die Einigung, welche mit
der freien Stadt Hamburg über die Modalitäten ihres Einschlusses in
das deutsche Zollgebiet erzielt worden ist, wird der Reichstag mit Uns als
einen erlrenlichen Fortschritt zu dem durch die Reichsverfassung gesleckten
Ziele der Einheit Deutschlands als Zoll= und Handelsgebiel begrüßen. Die
verbündeten uheit, Tentf sind der Ueberzeugung, dah der Reichstag den Ab-
schluß der deulschen Einheit nach dieser Seite und die Vortheile, welche dem
Reich und seiner größten Handelsstadt aus demselben erwachsen werden,
durch den Koslenbeitrag des Reiches nicht zu lheuer erkauft finden und dem
hierauf bezüglichen Geseyentwurf die Zustimmung ertheilen wird. — In
dem Bestreben, die geschöftlichen Uebelslände zu beseitigen, welche sich aus
der Concurrenz der Reichstagssessionen mit den Sihungsperioden der Land-
tage ergeben, hatten die verbündeten Regierungen dem vorigen Reichstag
einen Gesehentwurf vorgelegt, der eine Verlängerung der Legislatur-
perioden und Budgetperioden des Reiches vorschlug, über den aber eine