286 Das beutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. 26 28.)
oder doch eines Theils derselben z. B. über Rom im Gange seien. Die
gesammte europäjische Presse bemächtigt sich der Frage und erörtert
dieselbe lebhaft, bis das ganze Gerücht gegen Ende d. J. wieder ver-
stummt und angenommen wird, daß wenigstens förmliche Verhand-
lungen niemals stattgefunden hätten. (Vgl. Italien.)
26. November. (Preußen.) Das Domcapitel von Breslau
reicht der Regierung eine Vorschlagsliste für die Wiederbesetzung des
bischöflichen Stuhles ein. Der Vorschlag scheint indeß den Wün-
schen der Regierung nicht zu entsprechen, wenigstens bleibt der Stuhl
bis Ende des Jahres noch unbesetzt.
27. November. (Deutsches Reich.) Der König von Italien
dehnt seinen Besuch am Wiener Hofe nicht bis nach Berlin aus,
wie behauptet wird, lediglich mit Rücksicht auf den augenblicklich
etwas angegriffenen Gesundheitszustand des Kaisers Wilhelm. Man
nimmt aber an, daß jener Besuch durchaus im Einverständniß auch
mit dem Berliner Hofe erfolgt und daß die Annäherung Italiens
an Oesterreich-Ungarn auch als eine solche an das deutsche Reich
aufzufassen sei.
28. November. (Deutsches Reich.) Reichstag: 1. Lesung
des Gesetz-Entwurfs betr. den Beitrag des Reichs zu den Kosten des
Zollanschlusses von Hamburg. Rede des Reichskanzlers. Die Vor-
lage wird nach dem Antrage der Linken einer Commission von 21
Mitgliedern überwiesen, da der Reichstag nicht bloß über die finan-
ziellen, sondern auch über die staatsrechtlichen Puncte aufgeklärt sein
will, die für den Anschluß von Wichtigkeit sind.
Der Reichskanzler # hält bei dieser Gelegenheit eigentlich nicht bloß
eine, sondern zwei Reden. Die erste ist indeß die politisch weitaus bedent-
samere. Sowohl die Darlegung der Wichtigkeit, welche der Zollanschluß
Hamburgs für das deutsche Verkehrsgebiet hat, als die Be gründung der
Nothwendigkeit des Ausbaues der Einheit des Reiches in seinen verfassungs=
mäh en Grenzen — kurz, der gesammte positive Theil der Ausführungen
I— äkanzlers ist von großen nationalen Gesichtspuncten beherrscht und
ven des gewinnenden und überzengenden Eindrucks nicht verfehlen. In
geringerem Maß ist dieß bei der polemischen Excursion der Fall, welcher er
sich, durch die Neplik Lasker's veranlaßt, in seiner zweiten Rede in weitestem
Umfang hingibt. Nach allgemeiner Annahme hat die gegenwärtige Session
des Reichstags lediglich oder doch wesentlich nur den Zweck, festzustellen,
ob irgend Parteien oder gar eine Mehrheit vorhanden, welche den Reichs-
kanzler in der Turchführung des Programms der Botschaft zu unterstützen
gewillt sind. Der Reichskanzler wiederholt sogar die Worte der „N. A. Ztg.
auf Grund der Fractionslisten lasse sich diese Frage nicht bennincoache
Daß die Frage, verneint wird, darauf ist der Neichskanzler vorbereitet. Daß
er sich, sobald dieses Nein officiell festgestellt ist, auf das Altentheil der
auswärtigen Politik zurückziehen und die innere Politik anderen überlassen