306 Das deuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Dec. 5.)
5. December. (Elsaß-Lothringen.) Eröffnung des Landes-
ausschusses durch eine kurze Ansprache des Statthalters v. Man-
teuffel. Französische Rede des Alterspräsidenten Kempf. Die Ver-
sammlung constituirt sich durch Wahl ihres Bureau. Die Negie-
rung bringt den Landesetat und andere finanzielle Vorlagen ein.
Beim Abendbankett antwortet der Statthalter auf die Rede des
Alterspräsidenten.
Der Alterspräsident beschwert sich in seiner Eröffnungsrede über
die Anwendung des Dictaturparagraphen in der Unterdrückung der offen
protestlerischen „Presse von Elsuff Lothringen, über die Maßregel gegen
die französischen Versicherungsgesellschaften, d ie er „willkürliche“ nennt, na-
mentlich aber über die Einführung der deutschen Sprache als ausschließliche
Verhandlungssprache des Landesausschusses vom 1. März an: „Ist das die
Art, mit der man unsere Wunden heilen und unsere Sympathien erwerben
will! Nein, meine Herren, sagen wir es, die öffentliche Meinung betrachtet
diese Maßregeln als den Ausdruck des vac victis. Es ist daher die Frage
aufgeworsen worden, was der Landesausschuß in dieser für ihn durch das
Reichsgesetz geschaffenen Lage thun werde. Wird er Enthaltung üben? Wird
er wie eine Bersammlung von Stummen abstimmen? Nein, meine Herren,
das Land will nicht, daß Sie Sauft eine Weiterführung unserer Geschäfte ver-
zichten; das Land will, daß S e Ihr Mandat erfüllen trotz der Hemmnisse,
trotz der zu engen Grenzen, de- es umgeben. Zu diesem Zweck gibt es ein
Mittel. das ist der elsaß-lothringische Dialect (Rufe: Nein! nein!), den Sie
fast Alle sprechen. In diesem Dialect werden Sie die Interessen wahr-
nehmen, die Freiheiten vertheidigen und ohne Aufhören die Rechte unseres
geliebten kleinen Vaterlandes zurückfordern." Der Statthalter antwortet
darauf im wesentlichen: „..Ich will mich nicht überschäßen, aber so be-
schränkt bin ich wahrhaftig icht, um zu glauben, daß eine Bevölkerung, die
in der Zusammengehörigkeit mit dem durch Geist und inneres Leben aus-
gezeichneten Frankreich aufgewachsen und herangebildet worden ist, in der
das Gesühl kebt, Frankreich die bürgerliche Freiheit und die individuelle
Selbständigkeit zu verdanken, deren Söhne hervorragende Ruhmesstellen in
der Glangperiode der fran ösischen Waffen eingenommen haben — daß eine
solche Bevölkerung in wenig Jahren zu deutschen Patrioken umgebildet wer-
den könnte. Wäre Elsaß-Lokhringen von einer Bevölkerung bewohnt, die
ihre Vaterlandsgefühle wechselt wie ein Kleid — Deutschland würde nicht
so hohes Gewicht auf die Wiedergewinnung des Landes legen. Zu dieser
Umbildung gehören die K#ewaktigen Stunden, die Zeit! Daß sie aber kommt,
ist für den sicher, der die Reserven von den deutschen Regimentern zurück-
kehren sieht, der im ganzen Lande von den Kindern das „Heil Dir im Sieger-
kranz“ hört, der die Macht des durch die Geschichte bewährten eigenthümlich
deutschen Genius kennt. Wie follte ich in diesen sich entwickelnden sicheren
Gang durch künstlich gewaltsame Maßnahmen störend und nur Reaction her-
vorrufend eingreisen wollen! Wahr ist es, ich habe die geehrten Herren im
vorigen Jahr zur offenen, furchtlosen Anerkennung der Zusammengehörigkeit
von Elsaß-Lothringen mit Deutschland aufgefordert, aber ich habe auch hin-
zugefügt, daß ich Ihre Sympathien für diese Zusammengehörigkeit noch nicht
beanspruchen könne. Wahr ist es auch, daß ich in meinem heißen Wunsche,
die Gewährung der vollen verfassungsmäßigen Rechte an Elsaß-Lothringen
zu beschleunigen, im Febrnar dieses Jahres gerathen habe, achtbare, unab-
hängige Männer in den Reichstag zu wählen, welche diese Zusammengehörig-