Das deulsche Reich und seine tinjeluen Glieder. (Dec. 15.) 311
dem er hervorhebt, daß von 50 beanstandeten Wahlen nicht weniger als
36 auf Preußen sallen, nur 14 aber auf das übrige Deulschland und von
diesen 14 wieder 8 auf Sachsen, also nur 6 auf alle übrigen Bundesstaaten
und den Grund dieser Erscheinung in einer ganz ungehörigen Wahlbeein-
flussung jener Regierung findet, die übrigens in schroffem Gegensatz stehe zu
den Aeußerungen, die noch im März d. J. der in dieser Sihung nicht au-
wesende Reichskanzler über die Frage wörklich dahin gethan habe: „Soviel
an der Reichsregierung und namentlich an mir als Kanzler liegt, bin ich
den Einwirkungen von Beamten siets entgegengetreten, nicht immer mit Er-
folg. h theile die Meinung des Herrn Vorredners, daß es der Würde
des Beamten nicht entspricht, sich in die Wahlkämpfe zu mischen, namentlich
nicht in öffenllichen Reden. Ich bitte Sie fest überzeugt zu sein, daß ich
nach keiner Seite hin eine icweeilige Beeinflussung dulden werde, soweit ich
eine solche hindern! kann.“ Viel schärfer geht Rickert in die Sachlage ein,
indem er eine ganze Reihe von Wahlbeeinflussungen preußischer Beamter,
zum Theil stärkster Art, im Detail aufführt und erörtert und namentlich
auch die Haltung und Sprache der officiellen „Provinzial= Porrespondenz“
während des Wahlkampfs einer schneidenden Kritik teieh Dagegen
erhebt sich nun der Minister v. Puttkamer, der sich für die Haltung
der „Prov.-Corr.“ verantwortlich erklärt, das Vorgehen der Regierungsorgane
durch die Art des Angriffs seitens der Oppoition für vollkommen gerecht-
fertigt erklärt und dahin schließt: „Die Regierung Sr. Maj. des Königs
von Preußen ist keine Parteiregierung, kann sich mit keiner Partei identisi-
ciren und ist daher bei den Wahlen in einer sehr — wie soll ich sagen —
sehr hilflosen Lage, denn sie hat keine directen Organe, durch welche sie zuf
die öffentliche Meinung einwirken, dieselbe aufklären kann, und die se
ist ja bekanntlich zu sieben Achteln in den Händen der Opearsttinsparlein.
Also muß die Regierung erwarten, daß diejenigen Beamten, in deren Händen
wesentlich die politische Vertretung der Staatsgewalt liegt, wenn und inso-
weit sie überhaupt ihre Rechte als Wähler und Staatsbürger ausüben, die
Regierung unterstühten. Sie erwartet das ganz zuversichtlich von den Be-
amten, und davon ist sehr wohl zu unterscheiden die unerlaubte Wahlbe-
einflussung, die die Regierung ebensowenig wünscht wie Sie, d. h. eine
Wahlbeeinflussung, die sich darin documentirt, daß das ummittelbare Gewicht
des Amts mit in den Wahlkampf hineingeführt wird; davon wird natürlich
keine Rede sein. Aber, meine Herren, das wiederhole ich jedoch mit großer
Bestimmtheit, und damit will ich schließen: die Regierung wünscht, daß inner-
halb der Schranken des Gesetzes ihre Beamten sie bei der Wahl nachdrückich
unterstützen, und ich kann hinzufügen, daß diejenigen Beamten, welche d
in treuer Hingebung bei den lebten Wahlen gethau haben, des Dankes 55
der Anerkennung der Regierung sicher sind, und, meine Herren, was mehr
werth ist, daß sie auch des Dankes ihres kaiserlichen Herren sicher sind.“
Die letzten Worle des Ministers erregen gewaltiges Auffehen nnd rnfen
v. Bennigsen auf die Tribüne, der zwar dem Minister „die M )iihleit
nicht verschrauten will, daß er die Beamten, für deren Thätigkeit er bis auf
einen dewissen Grad auch verantworlich ist, hindert, in einer tendenziösen
Weise der Politik der Regierung entgegen zu treten, namentlich wenn es sich
um solche Beamte handelt, deren politischer Character vorzugsweise aner-
kannk ist durch diejenigen Beslimmungen, die ja bekanntlich eine ganze Reihe
von Beamtencategorien unter die Disponibilität stellen. Aber der Herr
Minister ist viel weiter gegangen. Er hat sich, wie ich es verstehen muß,
für ein System ausgesprochen, dessen böse Folgen wir seit vielen Jahren
in Frankreich sehen, wo das ganze Beamtenkhum zur Verfügung des Ministers
steht und dieser bei Wahlen nur auf einen Knopf drückt, die ganze Maschine