Das deulsche Reich und seine einzelnen Glirder (Ende Dee.) 315
nach nicht freiwillig erbetene Entlassung. Der Minister v. Putt-
kamer erhält einen Orden und der Chefredacteur der „Prov.-Corr.“
Dr. L. Hahn eine Titelerhöhung, offenbar in Folge der Reichstags-
debatte vom 15. d. M. über Wahlbeeinflussung.
29. December. (Preußen.) Der hochoffiziöse Berliner Cor-
respondent (Dr. Konst. Rößler) der Wiener „Polit. Corr.“ kündigt
unzweideutig einen neuen „Conflict“ zwischen dem Reichskanzler und
der Vollsvertreiung an.
„Man kann es nicht leugnen, die politische Luft erfüllt sich mehr
und mehr it dem Conflictsstoffe. Fürst Bismarck hat einmal gesagt, er
wolle den Conflict nicht zur Nationalinstitution machen; allein es scheint,
daß wir seiner periodischen Wiederkehr fürs erste nicht entgehen können.
Hinter dem Dogma, daß die Freiheit der wirthschaftlichen Akome allein die
sozialen Fragen lösen dürfe, verbirgt sich nichts als der Wunsch nach einer
vom Staat unabhängigen Gesellschaft, die in einem Parlament centralisirt
ist, und über den Staat als ihren Handlanger disponirt. Man fürchtet in
der Sozialreform des Fürsten Bismarck die Unterwersung oder die Beschräu-
kung der Gesellschaft durch den Staat. Eine große Anzahl selbständiger
Köpfe, die sich außerhalb des Parteigelriebs gehalten haben, steht mit starker
Ueberzeugung auf der Seite des Reichskanglers. Jeht noch zerstreute Posten,
gleichsam in Feindesland, werden sie die Zwischenglieder sich unterthan
machen und das eroberte oder vielmehr bekehrte Land herstellen. Durch einen
Conflict müssen wir aber wieder hindurch. Wird es auch kein eigent-
licher Verfassungsronflict, denn man braucht keinen Punct der Verfassung zu
verlehen, so ist es doch ein Conflicl über die Ergänzung der Verfassung und
über den Gebrauch der in ihr liegenden Negierungsmittel. Möchten wir
ihn gut und rasch überstehen. Die Künstlichkeit und Oberflächlichkeit auf
Seiten der Opposition, welche den Gegensatz hervorruft, gestattet für die Er-
füllung dieses Wunsches eine günstige Prognose
Ende December. (Deutsches Reich.) Der eben veröffent-
lichte Bericht der Handelskammer zu Leipzig für das Jahr 1880
spricht sich sehr ungünstig, ein Jahresbericht der „Nordd. Allg. Ztg.“
für das Jahr 1881 dagegen sehr günstig für die neue Wirthschafts-
politik „eusschlands aus.
ge Leipziger Handelskammer gibt als Einleitung zu ihrem
* eine Neh- allgemein interessanter Ansichten, Gutachten und Wünsche
und. ährend wir uns in früheren Jahresberichten mit dem Gange der
wirthschsstlichen Gesetzgebung im Neich im Großen und Ganzen einverstanden
erklären und dieselbe — soweit wir nach unserer berufsmäßigen Sachkenntniß
und Erfahrung uns ein Urtheil zutrauen durflen — gegen Angriffe von
links und rechts in Schuß nehmen konnten, so“ finden wir uns jeht, obwohl
wir unseren Slandpunct beibehielten, gegen unsern Wunsch mehr und mehr
in einen Gegensatz gegen die herrschende Wirthschaftspolitik gedrängt. Es
ist in der That eine eigenthümliche Erscheinung, daß sogar in amtlichen Er-
lassen von hervorragender Stelle von den Mißerfolgen der seitherigen Wirth-
schaftspolilik geredet wird, als handelte es sich dabei um eine unhweiselhafte
Thatsache, während doch in Wahrheit die Uebelstände, auf welche zum Be-
weis des Mißerfolges hingewiesen zu werden plegt, theils aus weit früherer
Zeit herrühren, theils aber in anderen Staaten, welche einer sehr verschie-