Des deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 8.) 7
8. Januar. (Preußen.) Wiederzusammentritt des Land-
tags zur zweiten Hälfte seiner Session.
Die Geschäftslage des Landtags ist in so fern von vorne herein un-
günstig, als die noch bis zur Eröffnung des Reichstags (15. Febr) zur Ver-
fügung stehende Zeit von 5 oder 6 Wochen nicht ausreichen kann, den noch
obliegenden Rest wichtiger Arbeiten vollständig zu erledigen. Die geschlossene
größere Hälfte der Session ist, außer kleinen Gesetzentwürfen ohne politische
Bedeutung, hauptsächlich ausgefüllt gewesen mit der zweiten Leiung des
Staatshaushaltsetats; aber die auf den Steuererlaß bezüglichen Theile des
Etats sehen ihrer Entscheidung noch entgegen. Die wichtigen Vorlagen zur
Fortführung der Verwaltungsreform haben ihre erste Lesung bestanden und
von ihnen ist das „Zuständigkeitsgesetz“ in der Commission vorberathen und
zur zweiten Lesung für das Plenum fertiggestellt. Ferner stehen das Gesetz
über die Eisenbahnräthe u. s. w, noch zu erledigen und namentlich auch das
während der Ferien erst eingebrachte neue „Verwendungsgesetz“, das mit den
hinsichtlich der Etats zu fassenden Entschlüssen und mit den Steuergesetz-
berathungen der nahen Reichstagssession in enger Verbindung steht. Die
dringendsten Tractanten sind wohl jene, deren Bedeutung wesentlich die einer
Recognoscirung und Vorbereitung für die Entscheidungen im Reichstage und
bei den im Spätherbst bevorstehenden Wahlen ist. Vorweg ist hier der von
der Regierung beantragte einmalige Steuererlaß zu nennen. Zur Ent-
scheidung über diesen Steuererlaß und über die Deckung des noch vorhan-
denen Deficits liegen bis jetzt Anträge der Budgetcommission noch nicht vor
und die Fractionen haben sich bis jetzt in diesen Fragen noch nicht schlüssig
gemacht. Wie der Minister des Innern, so legen auch die liberalen Frac-
tionen ein besonderes Gewicht darauf, daß von den Vorlagen zur Fort-
führung des Ausbaues der Selbstverwaltung wieder ein ins Gewicht
fallender Theil noch in dieser Session zustande gebracht werde. Der Kanzler
hat dagegen seit Jahren auf diesen gesetzlichen Ausbau mit großer Kälte ge-
blickt, und diese Kälte ist nicht ohne Mitschuld an dem weitverbreiteten
Mißtrauen, mit welchem im liberalen Lager die innere Politik des Fürsten
betrachtet wird. Die Commission des Abgeordnetenhauses ist bisher nicht
über die Vorberathung des Zuständigkeitsgesetzes hinausgelangt, und
auch bei dieser sind eine Anzahl Streitfragen bisher unausgeglichen geblieben,
so daß das Ergebniß der noch bevorstehenden Plenarverhandlung unsicher ist.
während es doch sehr wünschenswerth bleibt, eine Anzahl Mängel des be-
stehenden Competenzgesetzes, die dem Ansehen der Selbstverwaltungs-Ein-
richtungen geschadet haben, zu beseitigen. Dieses Gesetz nun soll in der be-
ginnenden zweiten Hälfte der Session zustande gebracht werden. An die
Berathung der Entwürfe, welche die Einführung der neuen Kreis- und Pro-
vinzialordnung in Posen, Schleswig-Holstein und Hannover bezwecken, hat
die Commission bis jetzt noch nicht Hand angelegt, und die Berathung im
Plenum wird ohne Nachsession, die man mit Recht vermeiden will, in dieser
Session kaum mehr zu einem Ergebnis führen. Es liegt dem Fürsten Bis-
marck seine Steuerreform jedenfalls viel näher am Herzen, als die Ver-
waltungsreform des Grafen Eulenburg: allein es wird sich bald genug zeigen,
daß auch für die Steuerreform, namentlich für die Ueberweisung von Staats-
realsteuern an die Communalverbände, eben in der noch immer so sehr
mangelhaften Ausbildung der untern Glieder des Communalaufbaues ein
schwer zu überwindendes Hindernis sich geltend machen wird. Ein dritter
wichtiger, in den Augen des Kanzlers wohl der wichligste Berathungsgegen-
stand für die zweite Hälfte der diesjährigen Landtagssession bildet das um
Weihnachten erst eingebrachte neue „Verwendungsgesetz“ für die Reichs-