Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1881. (22)

340 Die Oesterreichisch--Angarische Monarchie. (April 7.) 
die Wiederherstellung des Lienbacher'schen Gesehentwurfs vorschlug. Es liegt 
somit ein principieller Gegensah zwischen den Beschlüssen des Abgeordueten- 
und des Herrenhauses vor. Da es sehr unwahrscheinlich ist, daß die Mehr- 
heit der zweiten Kammer dem Beschlusse der ersten beitreten wird, so ge- 
langt die Frage einfach nicht zur parlamentarischen Erledigung und der 
gegenwärtige Zustand bleibt aufrecht erhalten. Die Verordnungen des Unter- 
richtsministeriums gestatten die Gewährung von Erleichterungen der Schul- 
pflicht, der Grundsah der achtjährigen Dauer derselben aber bleibt unberührt. 
Aus den Verhandlungen, welche vor einem der Wichtigkeit des Gegenstandes 
entsprechend vollen und bewegten Hause geführt werden, verdient das Auf- 
treten des Hru. v. Hasner und das des Gultusministers bejonders hervor- 
gehoben zu werden. Hafner vertheidigt als Vater des Neichswollsschulge 
Ketes das Kind seines Geistes und seiner Ueberzeugung mit der ganze 
Schärfe des einen und mit der ganzen Wärme des anderen in aländenzer, 
von tiefem Eindruck begleiteter Rede. Das Auftreten des Hrn. v. Conrad 
ist ein weniger glückliches und wird namentlich wegen des Standpunctes auf- 
fäli bemerkt, welchen der Unterrichtsminister und mit ihm die Regierung 
#i der Frage einnimmt, und den man recht eigentlich als einen Verlegen- 
Rritestanbruren oder als gar keinen bezeichnen kaun. Denn der Minister 
schließt sich keiner Seite an und die Regierung stellt sich eigentlich ganz 
außerhalb der Frage. Jener kennzeichnet den Standpunkt der Regierung 
sowohl dem Antrage Lienbacher's gegenüber, als gegenüber dem Beschlusse 
der Unterrichtscommission des Herrenhauses in eingehender Darstellung. Der 
Minister bestreitet zunächst, daß mit dem Antrage Lienbacher's die Schule 
geschädigt werden sollte. Das Lehrziel sollte nur in kürzerer Zeit als bisher, 
in 6 statt in 8 Jahren, erreicht werden. Die Negierung müsse dieser Frage 
gegenüber eine intensiv beobachtende Stellung einnehmen, zumal in einer 
Zeit, wo viele Verhehungen und Dennnciationen nicht bloß gegen einzelne 
Personen, sondern gegen den ganzen Lehrerstand, gegen die Geistlichkeit, ja 
sogar gegen ganze Classen der Gesellschaft und Nationen fortwährend statt- 
finden. Der Minister wirft einen Rückblick auf die Verhandlungen, welche 
im Ansschufe des Abgeorduetenhanses staltgefunden haben, und bemerlkt in 
Betreff des Beschlusses der Mehrheit der Herrenhaus-Commission, daß die 
Regierung gar keine Veranlassung habe, sich diesem Beschlusse gegenüber ab- 
lehnend zu verhalten, weil derselbe nichts anderes sei, als eine Codification 
desjenigen, was von ihr bereits seit vielen Jahren im administrativen 
Wirkungskreise bezüglich der Erleichterungen des Schulbesuches verfügt worden 
ist — Verfügungen, zu welchen die Regierung als die berusene Durchführungs- 
behörde des Volksschulgesetzes nach dem Gesetze berechligt und verpflichtet 
war. Der Minister richtet schlieWlich den Appell an das Haus: es möge 
sorgfältig seine Entscheidung treffen, und jenen Weg wählen, von dem es 
glaube, dab er im Interesse der Schule gelegen sei und am schnellsten zum 
Ziele führe. 
7. April. (Oesterreich.) Ein Comité von 9 Mitgliedern des 
Reichsraths, die beiden Seiten des Hauses angehören, aber sämmt- 
lich entschieden schutzzöllnerischen Anschauungen huldigen, conferiren 
mit dem Handelsminister v. Pino über den Stand der Handelsver- 
tragsunterhandlungen mit Deutschland. 
Die Deputation vertrikt beide Parteien des Hauses und, soweit ihre 
Mitglieder der Verfassungsparlei angehören, die wichtigsten Industriecentren 
der Monarchie. In der Unterredung mit dem Minister ergreifen nahezu 
sämmtliche Theilnehmer das Wort. Es wird dem Minister gegenüber direct
	        
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