10 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 10.)
das Nothwendige hinaus zu verausgaben. Auch ist die Frage, ob nicht
unbeschadet der Kriegstüchtigkeit eine Abkürgung der Präsenzzeit ausführbar
wäre, einer ernstlichen Prüfung zu unterziehen.“ Hiegegen gab Freiherr
von Wöllwarth die Erklärung ab: „In Erwägung, daß jede noch so ernst-
liche Prüfung der Frage der Präsenz für die nächste Zeit nach unserer
Ueberzeugung eine Verkürzung derselben nicht zur Folge haben kann, be-
dauern wir, daß wir der dießbezüglichen Forderung in dem Parteiprogramm
nicht beizutreten vermögen.“ Diese Erklärung fand sofort zahlreiche Unter-
schriften. Die Mehrheit der Versammlung nimmt den Paragraphen aber
doch an. Das Parteiprogramm gipfelt im nebrigen in folgenden Sätzen:
„Die deutsche Partei steht auf dem Boden der Reichsverfassung treu zu
Kaiser und Reich, verbindet aber mit der Treue zum Reiche die Treue zur
Landesverfassung und die Anhänglichkeit an erprobte heimische Institutionen.
In der inneren Gesetzgebung des Reiches und des Landes verlangt die Partei
die Durchführung der liberalen Principien des modernen Staates. Die Partei
ist für gründliche Bekämpfung des Landstreicherthums, für Einführung der
Dienstbücher, für Beschränkung des Hausirhandels und für eine Reform des
Gesetzes betr. den Unterstützungswohnsitz. Die Partei erkennt die Nothwen-
digkeit an, daß Sorge für die Verbesserung der Lage der arbeitenden Klasse
getragen werde; sie spricht sich gegen das Verlangen um Wiederaufhebung
des Gesetzes über die bürgerliche Eheschließung aus, hält die Durchführung
des bestehenden Münzgesetzes für geboten und betrachtet die Zollgesetzgebung
für vorerst abgeschlossen. Die Auswanderungsfrage wünscht die Partei im
Sinne der Aufnahme einer den Bedürfnissen des Reiches entsprechenden Ko-
lonialpolitik behandelt zu sehen. Bei der schwierigen Finanzlage, in welcher
in Folge der gesteigerten Anforderungen der Gegenwart und des Rückgangs
wichtiger Einnahmeqnellen die meisten deutschen Staaten, unter ihnen auch
Württemberg, sich befinden, erscheint es der Partei dringend geboten, im
Reich wie im Lande in allen Zweigen der Staatsthätigkeit die Ausgaben zu
beschränken und gewissenhafte Sparsamkeit zu üben. Insbesondere sind in
Württemberg die Mittel und Wege auf das sorgfältigste zu prüfen, durch
welche das Gleichgewicht im Staatshaushalt hergestellt werden kann. Die
Partei hält es für nothwendig, daß die Ausgaben des Reiches durch eigene
Einnahmen desselben bestritten und damit die Matricular- Umlagen beseitigt
werden. Die Partei ist bereit zur Verwilligung von Reichssteuern, soweit
das Bedürfniß überzeugend nachgewiesen, und die Tragweite und der Um-
fang der Steuern zu überblicken ist. Unbedingt abzulehnen sind solche Reichs-
steuern, welche, wie beispielsweise eine Ouittungssteuer, durch ihre Schwere
oder die drückende Form ihrer Erhebung berechtigte Mißstimmung hervor-
zurufen geeignet sind, oder bei welchen die constitutionelle Stellung des
Reichstags nicht gebührend gewahrt ist. Erforderlichen Falls würde die
Partei zu Beschaffung unumgänglich nothwendiger Einnahmen das Tabaks-
monopol der Einführung lästiger, Verkehr und Erwerb hemmender Steuern
vorziehen."
10. Januar. (Elsaß-Lothringen.) In Colmar wird bei
der Wahl zum Landesausschusse der Candidat der vereinigten Cleri-
calen und Protestler Grad geschlagen und der Autonomist Ober-
landesgerichtsrath Scheuch mit 37 gegen 29 Stimmen gewählt.
Der Gewählte ist ein geborener Elsässer und hatte seine Anschauungen
und Bestrebungen in einem Schreiben an die Wähler dahin präcisirt:
,, . . . . Was ich anstrebe? Ich will durch Erhöhung der Productionskräfte
des Landes an dessen Wohlfahrt mitarbeiten; ich will durch eine ernstlich