Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1881. (22)

Frankreich. (Oct. 28 — Nov. 3.) 463 
28. October. Zusammentritt der Kammern. Gambelta ver- 
langt und erhält von der Majorität der Kammer ein Vertrauens- 
votum: er wird mit 317 von 364 Stimmen zum provisorischen 
Präsidenten derselben gewählt. 
28. October. Abschluß eines neuen Handelsvertrags mit 
Belgien. Dagegen wollen die Unterhandlungen mit England nicht 
von der Stelle rücken, und sind diejenigen mit mehreren anderen 
Staaten meist noch sehr im Rückstand. 
Ende October. Frankreich hat sich durch das tunisische Unter- 
nehmen Italien definitiv entfremdet. Italien schließt sich den OÖst- 
mächten an. Das italienische Königspaar macht einen demonstra- 
tiven Besuch am kaiserlichen Hoflager in Wien. 
1. November. In Oran (Algier) beginnen die französischen 
Truppen ihre concentrischen Operationen gegen die Sahara und 
Figuig (an der marokkanischen Grenze). 
3. November. Unterzeichnung des neuen Handelsvertrags mit 
Italien. 
3. November. Kammer: wählt Brisson mit 347 von 442 
Stimmen zu ihrem definitiven Präsidenten und designirt damit un- 
zweidentig dem Präsidenten der Republik Gambetta als Minister- 
präsidenten. Von den 4 Vicepräsidenten gehören 1 dem linken Centrum, 
1 der Linken, beide im ersten Serutinium gewählt, 2 dem republi- 
kanischen Verein (der eigentlichen Partei Gambetta's), beide aber 
erst im zweiten Scrutinium gewählt, an. 
Das Urtheil über den neuen Präsidenten ist ein sehr günstiges: „In 
seiner Selbstlosigkeit, echt democratischen Einfachheit und Sittenstrenge, in 
seinem von keiner persönlichen Rücksicht beirrten Pflichtgefühl und in der 
Geräuschlosigkeit seines ganzen Auflretens gleicht Hr. Henri Brisson viel 
weniger seinem unmittelbaren, als seinem zweiten Vorgänger, Hrn. Jules 
Grevy; mit ihm werden wieder strenge Unparteilichkeit und ein von allem 
theatralischen Prunk freies Präsidium in den Sihungssaal und schlichte repu- 
blicanische Gewohnheiten in die Privaträume des Palais Bourbon einziehen. 
Der Präsident der Deputirtenkammer wird nichts weiter sein, nicht weniger, 
aber auch nicht mehr, als eben Präsident der Deputirtenkammer." 
Senat: stimmt mit 98 gegen 97 Stimmen dem Beschlusse der 
Kammer bei, der den Normalarbeitstag von 12 Stunden (nach dem 
Gesetz v. 9. September 1848) auf 11 herabseßt, zunächst allerdings 
nur für die minderjährigen und die dem weiblichen Geschlecht an- 
gehörigen Arbeiter; allein man weiß, daß in sehr vielen Fabriken 
ohne Mitwirkung dieser Categorien überhaupt nicht gearbeitet wer- 
den kann. 
30“
	        
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