Uebersicht der polilischen Eulwichlung des Jahres 1881. 545
Ansicht ohnehin der Auflösung geweihten Türkei einzuschneiden,
Rußland jede fernere Schwächung desselben als einen eventuellen
Gewinn für sich betrachtete und Frankreich den Griechen sehr ge-
neigt war und bis auf einen gewissen Grad sein Wort für die ge-
plante Vergrößerung des kleinen Königreichs verpfändet hatte. Die
griechische Nationalität bildet von der Grenze Griechenlands an
längs der Küste des Agäischen Meeres ein starkes Element der Be-
völkerung des türkischen Reiches und ist an Bildungsfähigkeit so
wie an schon erworbener Bildung den Slaven desselben entschieden
überlegen, so daß es an Zahl wie an Bedeutung ganz geeignet ist,
den Ansprüchen der letzteren auf die ausschließliche Herrschaft über
die Balkanhalbinsel wenigstens bis zu einem gewissen Grade ein
Gegengewicht zu halten. Trotzdem ist die öffentliche Meinung in
Europa den Griechen nicht allzu günstig gesinnt. Und nicht mit
Unrecht. Die modernen Griechen zeigen uns, wie wenig ein kaum
der Barbarei entronnenes Volk geeignet ist, sich selbst zu erziehen,
wie langsam zum mindesten eine solche Erziehung Früchte bringt.
Die monarchische Gewalt ist unter König Georgios überaus schwach,
wo möglich noch schwächer, als sie es schon unter König Otto war,
und in der Regierung, in der Kammer und im Lande herrschen
nicht politische Parteien, sondern persönliche Factionen, deren gegen-
seitige Vorwürfe, die nur zu oft auf beiden Seiten wohl begründet
sind, den widerlichsten Eindruck einer forkwährenden halben Anarchie
machen. Im Durchschnitt lösen sich die Häupter der beiden mäch-
tigsten Factionen alle halb Jahre als Ministerpräsidenten ab, Tri-
kupis und Komunduros, Komunduros und Trikupis, ohne daß das
Land damit irgend ekwas gewonnen hätte. Das constitutionelle
System ist dort zu einer wahren Fratze geworden: die Griechen sind
für dasselbe unzweifelhaft noch nicht reif. Ein mehr oder weniger
absoluter, aber einsichtiger und energischer Herrscher, der seinen noch
ziemlich unbändigen Griechen einen gewissen freien Spielraum ließe,
aber sie im Uebrigen ohne Kammergeschwätz mit fester Hand re-
gierte, würde das Land in zwanzig Jahren weiter bringen, als die
jetzige Ordnung der Dinge es in 50 oder 60 vermögen wird. In-
zwischen etwas mußte geschehen, um die Frage wenigstens für ein-
mal aus der Welt zu schaffen. Die Entscheidung lag in der Hand
der Mächte. Die Griechen steiften sich zwar auf die Beschlüsse der
Berliner Conferenz, als ob die Mächte dadurch schon gebunden
wären, und machten einen furchtbaren Lärm, als ob sie entschlossen