Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1881. (22)

Franl- 
reich 
gegen 
Tunis. 
550 AUebersicht der politischen Entwicklung des Jahres 1881. 
zum voraus verständigt haben würde, Spanien hatte seine Augen 
längst, wenn auch nur vorläufig, auf Marokko geworfen, England 
aber fühlte sich zwar noch im Mittelmeer in entschiedenem Ueber- 
gewicht über Frankreich, hatte aber in Aegypten und dem Suez- 
kanal eine Position zu vertheidigen, die ihm Indiens wegen absolut 
unentbehrlich war und die es unter keinen Umständen und um keinen 
Preis in andere Hände fallen lassen konnte; nur Deutschland und 
Oesterreich waren bei der Frage weniger interessirt, wenn auch 
letzteres bekannter, obgleich nicht eingestandener Maßen über Mitro- 
witza hinaus nach Salonichi und ans Aegäische Meer zu gelangen 
strebt und eben dafür in Bosnien und der Herzegowina ein für 
die Zukunft werthvolles Pfand zu besitzen glaubt. Zunächst waren 
die Dinge indeß noch lange nicht so weit und handelte es sich nur 
um das kleine Tunis, das aber immerhin der Schlüsselpunct für 
alles Weitere sein mußte. Bezüglich Tunis hatte es Frankreich 
nur mit Italien zu thun, da es auf die Pforte keinerlei Rücksicht 
nehmen zu müssen meinte und keine zu nehmen gedachte und Eng- 
land beschwichtigen zu können hoffen durfte, weil keine unmittel- 
baren Interessen desselben auf dem Spiele zu stehen schienen. Schon 
gegen das Ende des Jahres 1880 hatte sich der geheime Krieg zwi- 
schen den Generalconsuln Maccio und Roustan in Tunis in einen 
offenen umgewandelt und seither von Monat zu Monat verschärft. 
Roustan verlangte von seiner Regierung immer dringender energische 
Unterstützung gegen das Uebelwollen des Bey und seines allmäch- 
tigen Ministers Mustapha so wie gegen den rücksichtslosen Ueber- 
muth der Italiener und schon im Februar hatte dieselbe zwei 
Panzerschiffe zur Aufrechthaltung ihres Anfehens dahin geschickt. 
Da indeß von einer förmlichen Beeinträchtigung der Rechte Frank- 
reichs oder seiner Angehörigen in Tunis keine Rede war, mußte, 
um einschreiten zu können, ein Vorwand gesucht werden, und wurde 
auch leicht gefunden. Seit Jahren hatten die Krumirs, ein zwar 
zu Tunisien gehöriger, aber dem Bey nur nominell gehorchender 
Stamm, vielfach Einfälle in das benachbarte algierische Gebiet 
gemacht, einzelne Niederlassungen zerstört, Heerden geraubt u. doal., 
wie das nicht nur hier, sondern auch an der algierischen Grenze 
gegen Süden und gegen Marocco jederzeit geschah und die französi- 
schen Truppen ab und zu immer beschäftigt hat. Jetzt kam ein 
neuer derartiger Einfall der Krumirs den Frangosen wie gerufen. 
Die französische Regierung schickte Ende März Truppen an die
	        
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