Nebersicht der pelilischen Enrlwiclung des Jahres 1881. 551
tunisische Grenze und die öffentliche Meinung Frankreichs verlangte
laut, daß eine exemplarische Züchtigung der Krumirs nicht länger
verschoben werden dürfe. Nun hatte Roustan gewonnenes Spiel.
Anfangs April verlangte die französische Regierung einen absichtlich
vorerst nur ganz kleinen außerordentlichen Kredit behufs Züchtigung
der Krumirs von den Kammern, der von beiden sofort einstimmig
bewilligt wurde, die Truppen erhielten Befehl, die tunisische Grenze
eventuell zu überschreiten, Nachschübe wurden bereik gehalten, die
Flotte lag in Toulon zum Auslaufen bereit; die Mächte wurden
damit beschwichtigt, daß Frankreich nur seine legitimen Rechte ver-
theidige und daß jede Idee einer Occupation oder einer Bedrohung
der Unabhängigkeit der Regentschaft absolut ausgeschlossen sei. Ge-
rade das aber hatte Frankreich im Sinn, gerade dazu war es ent-
schlossen und führte es auch wohlüberlegt aus. Am 24. April
überschritten die Franzosen die Grenze. Der Bey hatte schon vorher
dagegen protestirt und protestirte jetzt neuerdings, auch bei den
Mächten, natürlich umsonst. Seine Truppen gog er vorsichtig zurück:
von den Krumirs war jedoch alsbald keine Rede mehr. Der Bey
erschöpfte sich in Protesten, die Franzosen rückten ohne Rücksicht
darauf stetig vor und besetzten einen wichtigen Punct nach dem an-
dern, allmälig den ganzen nördlichen Theil des Landes bis auf die
Hauptstadt Tunis, die sie mit Rücksicht auf die Mächte nicht be-
rührten. Dagegen erschien am 12. Mai der französische General
Breard im Bardo, dem Residenzschlosse des Bey, legte ihm einen
sog. „Garantievertrag“ vor und verlangte, daß er ihn unterzeichne.
Durch denselben verbürgte Frankreich dem Bey feinen Schutz für
seine Person, für jeine Dynastie und für die Ruhe seines Landes
und verbürgte sich auch für die Ausführung der gegenwärtig zwi-
schen seiner Regierung und den übrigen europäischen Mächten be-
stehenden Verträge, wogegen der Bey alle seine auswärtigen Be-
ziehungen der Leitung Frankreichs unterstellte, ihm überließ, die
künftigen finanziellen Grundlagen des Landes festzustellen und sich
mit der Besetzung desselben durch die französischen Truppen, so weit
es der Regierung Frankreichs conveniren mochte, einverstanden er-
klärte. Die Ausführung der Bestimmungen dieses Vertrags sollte
ein französischer Ministerresident in Tunis selbst überwachen. Der
Bey unterzeichnete das Document ohne langen Widerstand und bat
nur darum, daß feine Hauptstadt selbst nicht besebt werden möge,
was der Frangose vorerst auch einräumte, da es mit seiner eigenen