Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1881. (22)

Aebersicht der polilischen Eulwichlung des Jahres 1881. 555 
schenken, um die öffentliche Meinung nicht allgusehr zu erschrecken, 
zumal da zufällig gerade die allgemeinen Kammerwahlen vor der 
Thüre standen und dadurch nur zu sehr hätten beeinflußt werden 
können. Wohl wurden sofort einige frische Truppen, wie sie eben 
zur Hand waren, von Frankreich nach Africa geschickt und die Unter- 
werfung auch Südtunesiens begonnen. Zum Glück für sie war der 
Bey ganz in ihrer Gewalt und schloß sich in seinem eigenen Interesse 
aufs engste an sie an: er überließ ihnen alle Zweige der Verwal- 
tung, die sie nur verlangten, während seine Truppen auseinander- 
liefen. Noch im Juli wurde die Hafensladt Sfax in Südtunis von 
der französischen Flotte bombardirt und schließlich im Sturm ge- 
nommen, doch erst nach einem hartnäckigen Straßenkampfe, bei dem 
die Stadt der Plünderung Preis gegeben wurde. Darauf folgte die 
Besetzung einiger weiterer Puncte; aber damit war der Aufstand noch 
lange nicht bewältigt und im August, dem Wahlmonat für Frank- 
reich, trat eine Stockung in der Fortsetzung der Operationen ein. 
Zu Anfang Septembers war die Lage bedenklicher als je. Roustan 
kam selbst nach Paris, um die Regierung zu berathen, und erst jetzt 
wurden Truppen auf Truppen nach Africa hinübergeschafft. Die 
Schwäche der Regierung trat indeß gerade hiebei in der fatalsten 
Weise zu Tage. Der öffentlichen Meinung gegenüber, die dadurch 
allzusehr bennruhigt worden wäre, wagte sie es nicht, einige Armee- 
corps förmlich zu mobilifiren und als solche auf den Kriegsschau- 
platz zu schicken. Der Kriegsminister General Farre zog es vielmehr 
vor, die erforderlichen Truppen den verschiedenen Armeecorps in allen 
Theilen Frankreichs zu entnehmen und dadurch alle zu desorgani- 
siren. In Africa selbst fehlte es dann an den nothwendigsten sani- 
tarischen Vorkehrungen, die Soldaten erlagen mehr den Strapazen 
und den Krankheiten eines ihnen ungewohnten Klimas und doch 
waren die Spitäler überfüllt und fehlte es vielfach an aller Pflege. 
Alles Schönfärben und alles Vertuschen war nachgerade gar nicht 
mehr möglich. Die gesammte Presse fast ohne Unterschied der Par- 
teien überhäufte die Regierung mit Vorwürfen und diefelbe stand 
diesen Anklagen gegenüber vollständig wehrlos da. Unter diesen 
Umständen wäre das Ministerium Ferry nur zu gern zurückgetreten, 
aber vor dem Zusammentritt der neuen Kammer, der vor Ende 
Octobers nicht möglich war, ging das nicht an. Unterdessen zeigte 
sich aber die Ueberlegenheit europäischer Kriegskunst und europäischer 
Disciplin über ungeordnete, wenn auch an Zahl weit überlegene
	        
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