Die
lond-
wirth-
schaft-
liche
Frage.
604 Uebersicht der polilischen Enlwicklung des Jahres 1881.
ersten Existenzbedingungen eine Art Sicherheit, so weit eine solche
überhaupt möglich ist, zu verschaffen. Ob das möglich ist, ohne daß
der Staat diesen Classen dabei noch weiter behülflich ist und durch
Mittel der Gesammtheit directe unter die Arme greift, ist eine Frage,
die vorerst dahin gestellt bleiben mag. Daß der Reichskanzler es gewagt
hat, sie im Unfallgesetz wenigstens zu stellen, ist jedenfalls ein überans
großes Verdienst. Es ist möglich, daß die Staatshülfe bei diesem Gesetz
noch umgangen werden kann und daß die Industrie in der Lage ist, diese
Last noch allein zu tragen, namentlich wenn die Carenzzeit möglichst
verlängert und der größere Theil der Last damit auf die Kranken-
kassen abgewälzt wird. Bei einem Invaliden= und Alterversorgungs-
gesetz wird es schon viel schwerer und fast unmöglich sein, wenn es
seinen Zweck irgend erreichen soll. Wie aber eine Staatshülfe, wenn
sie geboten werden müßte und wirklich wird, zu organisiren wäre, ist
eine noch andere Frage, über welche noch wenig nachgedacht und
Vorschläge gemacht worden sind. Das müßte wohl die Aufgabe von
Versuchen sein und könnte unmöglich so bald oder gar definitiv ent-
schieden werden. Die Idee, den angeblichen oder muthmaßlichen Er-
tragdes Tabakmonopols mit jährlich 150 Mill. Mark der Sozial-
democratie als „Patrimonium der Enterbten“ in den Rachen zu
werfen, war eine durchaus voreilige und noch ganz und gar unreife und
hat zum Ausfall der Reichstagswahlen gegen den Reichskanzler nicht
wenig beigetragen. Er scheint auch längst davon zurückgekommen. Es
würde genügen, wenn nur das Princip einer Staatshülfe überhaupt
zur Anerkennung gebracht werden könnte; die practische Ausführung
ist eine so schwierige, daß jedenfalls noch viel Wasser den Rhein
hinunterfließen wird, bevor die Frage gelöst ist. Zunächst ist es schon
etwas, daß die Frage in die Hand genommen worden ist und kaum
sobald wieder von der Tagesordnung verschwinden wird. Bezüglich
eines anderen leidenden Theils des vierten Standes, der landwirth-
schaftlichen Bevölkerung, sind wir noch nicht einmal so weit. Aber
die Frage rückt sichtlich mehr und mehr in den Gesichtskreis der
Gegenwart, wenn auch ihre Lösung eine noch schwierigere sein dürfte
und vielleicht noch mehr Zeit erfordern wird. Der dritte Stand
hat, sobald er zur Herrschaft gekommen war, seine Anschauungen
und die Grundsätze, die für seine Sphäre passen und ganz die rich-
tigen sind, ohne weiteres auch auf die landwirthschaftliche Bevölke-
rung und ihre Verhältnisse übertragen. Kurz kann man sie als die
Mobilisirung auch des Grundeigenthums und die Einführung der