618 Uebersicht der polilischen Enkwichlung des Jahres 1881.
bezeichnen, wo die Curie selbst die Hoffnung aufgegeben hätte, die
vollendeten Thatsachen wieder rückgängig machen zu können. So
weit ist die Curie noch nicht: der Papst gefällt sich noch immer in
der Fiction seiner Gefangenschaft im Vatican und erklärt seine nur
sormell souveräne Stellung für eine des Oberhauptes der katholischen
Kirche ganz und gar unwürdige, in welcher Anschauung ihn ein
bei Ueberführung der Leiche seines Vorgängers am 12. Juli vor-
gefallener Scandal noch bestärkt hat. Ganz zu Ende des Jahres
wurde in der That die Frage einer Rückgabe Roms und seiner
nächsten Umgebung an den wieder wirklich souveränen Papst in einem
Theil der europäischen Presse ernsthaft und lebhaft erörtert. Die Er-
örterung ließ jedoch Italien selbst ganz kalt. Die Ausführung der
Idee ist fast unmöglich und, selbst wenn sie versucht würde, wäre
sie doch nicht von Dauer.
Frank- Auch die Erwerbung von Tunis durch Frankreich sowie die
reich. Rückwirkung dieses Ereignisses auf die auswärtige Stellung Frank-
reichs und die Beziehungen der großen Mächte unter einander ist
schon und im Zusammenhange berührt worden. Inzwischen war
auch die innere Entwickelung der Dinge in Frankreich im Laufe
des Jahres 1881 eine sehr bedeutsame und folgewichtige. Die
Wege der beiden neben Grevy hervorragendsten und im Jahre 1871
gegen die deutsche Invasion so einigen Männer Gambetta und Freycinet
gingen während desselben entschieden auseinander. Freycinet scheint
auf eine Revanche-Politik wirklich und aufrichtig verzichtet zu
haben, Gambetta dagegen nicht; aber dieser letztere hat dabei
die augenblickliche Strömung und den ernsten Willen der großen
Mehrheit der Nation nicht für sich, sondern entschieden gegen sich.
Nachdem er sich seit der Mitte des vorigen Jahrzehnts zuerst als
Präsident der Budgetcommission und dann als Kammerpräsident
eine unabhängige und zugleich höchst einflußreiche Stellung gemacht
hatte, so daß ihm allgemein eine Art Nebenregierung neben dem
Präsidenten der Republik und seinem Ministerium zugeschrieben
wurde, schien ihm endlich selbst in Folge der tunisischen Ereignisse,
die im ersten Anlauf das Prestige Frankreich wieder herstellen zu
sollen schienen, der Moment gekommen, die Regierung der Republik
offen in die Hand zu nehmen. Als Unterlage dafür betrachtete er
die Einführung des Listenscrutiniums, das ihm eine große und
ganz ergebene Mehrheit in der Kammer bringen und ihn selbst
durch vielfache Wahl als den Erwählten der Nation darstellen