Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1881. (22)

18 Das deulsche Reich und seine einzelnen Slieder. (Jan. 29.) 
der Arbeilgeber, obvohl er zur Aufnahme in die Innung nach der Art 
seines Gewerbebetriebes fähig sein würde, gleichwohl der Innung nicht an- 
gehört; 2) daß und inwieweit die von der Innung erlassenen Vorschriften 
über die Regelung des Lehrlingsverhällnisses, sowie über die Ausbildung 
und Prüfung der Lehrlinge auch dann bindend sind, wenn deren Lehrherr 
zu den unter Nr. 1 bezeichneten Arbeilgebern gehört; 3) daß Arbeitgeber 
der unter Nr. 1 bezeichneten Art von einem bestimmten Zeilpunkte an Lehr- 
linge nicht. mehr anuchmen dürfen. Die Bestimmungen sind widerruflich. 
8 Die Innungen unterliegen der Aufsicht der Gemeindebehörde. Für 
Innnngen, die ihren Sitz nicht innerhalb eines Stadtbezirkes haben, oder 
die mehrere Gemeindebezirke umfassen, wird von der höheren Verwaltungs- 
behörde, für Innungen, die sich in die Bezirke mehrerer höherer Verwal- 
tungsbehorden erstrecken, von der Centralbehörde die Aufsichtsbehörde be- 
stimmt. § 104u. Innungen, welche nicht derselben Aufsichtsbehörde unter- 
stehen, können zur gemeinsamen Verfolgung ihrer Aufgaben, sowie zur Pflege 
der über den Kreis der einzelnen Innung binausgehenden gewerblichen 
Interessen zu Junungsverbänden zusammentreten.“ 
Den beigegebenen umfangreichen Motiven entnehmen wir folgendes: 
„Der Reichstag hat sich der Auffassung angeschlossen, daß eine Wiederbe- 
lebung der Innungen zu kräftigen, ihrer Aufgabe gewachsenen Corporationen 
auf der Grundlage der Bestimmungen der Gewerbeordnung nicht möglich sei. 
Im Reichstag wurde anerkannt, daß es nicht Sache des Staates sei, die 
Jnnungsbildung positiv zu fördern. es vielmehr den Betheiligten zu über- 
lassen sei, ob sie es ihren Interessen förderlich finden würden, zu Innungen 
zusammenzutreten, daß dem entsprechend die Innungen aller ihnen in einem 
großen Theile des Reichs noch zustehenden öffentlichen rechtlichen Functionen 
und jeder Einwirkung auf die Regelung der gewerblichen Verhältnisse über 
den Kreis ihrer Genossen hinaus zu entkleiden seien zund die bisherige enge Ver- 
bindung zwischen der Innung und den O rganen der O Kbrige eit bis auf ein 
eng begrenztes Aussichtsrecht zu beseitigen sei. Da man sich mehr und mehr 
überzeugte, daß den Innungen für die dringend wünsihenzweiih= Hebung 
des Kleingewerbes eine Bedeutung beiwohne, welche ihre Wiederbelebung 
zu einer Forderung des öffentlichen Interesses end damit auch zu einer 
Aufgabe posiliv fördernder staatlicher Thätigkeit mache, so haben in neuerer 
Zeit auch mehrere der verbündeten Regierungen den Versuch gemacht, durch 
ihre Anregung und das fördernde Eingreifen ihrer Organe eine Wiederbe- 
lebung der Innungen zunächst auf den bestehenden gesetzlichen Grundlagen 
herbeizuführen. Je weiter indessen die Bewegung in den Kreis der die 
Mehrzahl des Standes bildenden kleinen Handwerker eingedrungen ist. desto 
schärfer hat sie sich gegen die der bestehenden Gewerbeordnung zu Grunde 
liegenden Principien gewendet, und ist nach und nach zu Forderungen ¶- 
langt, welche von ihren ursprünglichen Trägern nicht vertreten werden. Die 
Hokinung auf Grund der gegenwärtigen Gewerbeordnung zu einer 
iederbelebung der Innungen zu gelangen, wird schon um dieser die Be- 
theiligten beherrschenden. Stimmung willen nicht mehr aufrecht erhalten 
werden können. Die Behörden haben die Ueberzeugung gewonnen, daß 
die Vorschristen der Gewerbeordnung, um die Erreichung des angestrebten 
Ziels zu ermöglichen, einer Abänderung bedürfen, indem sie einerseits die 
Innungen zu sehr ihres öffentlichen Charakters entkleidet und der Mitlel 
zur Erfüllung der ihnen gestellten Aufgabe beraubt, andrerseits sie rück- 
sichtlich der statntarischen Regelun 1 inneren Verhältnisse zu weil 
ehenden Beschränkungen zullesronsch haben. Ob eine diesen Mängeln ab- 
belfende Anerkennung der gesetzlichen Bestimmungen von durchgreifendem 
Essolg- sein wird, hängt wesentlihh von der Art und Weise ab, in welcher 
 
	        
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