Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Febr. 3.) 55
umfangreich, als daß es möglich wäre, dieselben ganz oder auch nur in
größeren Auszügen aufzunehmen, so daß dafür leider auf die stenographi-
schen Verhandlungen selbst verwiesen werden muß und wir uns begnügen
müssen, lediglich den Gang der Debatte und die vorläufige Stellung der
Parteien zu der Vorlage anzudeuten. Gneist (nat.-lib.) entwickelt seine ernsten
Bedenken gegen die Vorlage, indem sich mit dem damit gestützten Präjudiz
für weitere indirecte Steuerbelastungen im Reiche eine theilweise Beseitigung
des bisherigen Systems der directen Besteuerung und somit einer wesent-
lichen verfassungsmäßigen Grundlage des Staates verbindet, während ander-
seits eine gerechte und zweckmäßige Vertheilung der künftig zu überweisen-
den Summen, namentlich in der vorgeschlagenen Ueberweisung von Beträgen
nach den für die Classensteuer geltenden Grundsätzen an die Kreisgemeinden,
für deren Besteuerungszwecke: ein ganz anderer Maßstab zu gelten habe, nicht
gefunden werden könne. Die Ueberweisung der Grund- und Gebäudesteuer
an die Communen würde im Princip mit dem liberalen Reformprogramm
im Einklang stehen, in der projectirten Vertheilungsweise aber neuen In-
teressenstreit entfesseln. v. Wedell-Malchow (conserv.) spricht zwar für
die Vorlage, aber doch mit erheblichen Restrictionen, obgleich er versichert,
daß die Conservativen bereit seien, im Ganzen für das Gesetz einzutreten,
Zugleich entwickelt er den Steuerreformplan der Conservativen, wonach die
untersten Stufen der Classensteuer aufgehoben, bei Einkommen von 9000 M.
abwärts eine degressive, aufwärts aber eine progressive Steuer bis zu 4 Proc.
eingerichtet werden solle; die Gewerbesteuer müsse reformirt und eine Capital-
rentensteuer zur Erleichterung der Grund- und Gebäudesteuer eingeführt
werden. Finanzminister Bitter erklärt, durch die in der Vorlage vor-
geschlagenen Erleichterungen werde der Etat nicht belastet werden, indem die-
selben nur Zug um Zug gegen die vom Reich eingehenden Mittel erfolgen
würden. Es sei eine bloße Schwarzseherei, wenn man glaube, die Vorlage
sei geeignet, die Grundlagen des preußischen Finanzwesens zu zerstören. Die
Staatsregierung lege den höchsten Werth darauf, daß das Haus das Gesetz
durchberathe. Eug. Richter (Fortschr.) unterzieht zunächst den conserva-
tiven Steuerreformplan einer ebenso einläßlichen als scharfen Kritik und
sucht nachzuweisen, daß derselbe den Planen des Reichskanzlers den Boden
unter den Füßen wegziehe, indem er dahin ziele, dem Bedürfnisse durch eine
einschneidende Reform der directen Steuern vollständig zu genügen, so daß
die ganze Masse der geplanten neuen indirecten Steuern ganz überflüssig wäre.
Noch schärfer fast beurtheilt er freilich die Plane des Reichskanzlers und die
Vorlage: das ganze System derselben von Steuerüberweisungen halte er für
ein grundfalsches. Wolle man den Communalverbänden Etwas zuwenden,
so erlasse man die Steuern direct an die Steuerzahler und überlasse es dann
den Communen, ihrerseits die vom Staat entlasteten Steuerzahler für ihre
Zwecke heranzuziehen. Bei den Ueberweisungen dagegen bewillige der eine
politische Verband die Ausgaben, während der andere politische Verband die
Verantwortlichkeit für die Steuervermehrung trägt; ohne die letzte Verant-
wortlichkeit würde der erstere Verband um so leichtsinniger dazu übergehen,
neue Ausgaben zu bewilligen. Von diesem Standpunct aus verdiene aller-
dings das Verwendungsgesetz — er höre, die Conservativen haben den Na-
men erfunden — die Bezeichnung „Verschwendungsgesetz". Gewiß wolle
man kein Verschwendungssystem, aber thatsächlich komme man dazu, wenn
man sich darauf verlasse, daß im Reich immer die neuen Steuern nach-
geschüttet würden für die neuen Ausgaben, die man in den unteren Ver-
bänden beschließe. Nicht eine Entlastung, sondern eine immer stärkere Be-
lastung für die Steuerzahler werde die Folge dieses Systems sein. Fürst
Bismarck spricht unmittelbar nach Richter und doch ohne die von Richter