64 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Febr. 15.)
soll, wird Sie in den Stand setzen, die Ergebnisse zu übersehen, welche die
vor zwei Jahren begonnene Reform der Reichsabgaben seither gewährt hat
und ferner zu gewähren verspricht. In den bisher erreichten wirthschaft-
lichen und finanziellen Resultaten erblicken die verbündeten Regierungen die
Aufforderung, die Grundgedanken jener Reform zu weiterer Durchführung
zu bringen und auf diesem Wege nicht nur die finanzielle Selbständigkeit
des Reiches anzustreben, sondern auch den Bundesstaaten weitere Mittel zu
gewähren zur Umgestaltung ihrer Besteuerungsverhältnisse, zur Minderung
drückender Abgaben und zur Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen.
Welche Mittel die Einnahmen den einzelnen Staaten für diese Zwecke zu
gewähren schon im Stande sind, wird sich erst übersehen lassen, wenn die
Ueberschüsse des Reichs aus den neuen Zöllen definitiv feststehen werden.
Schon jetzt aber glauben die verbündeten Regierungen eine Vermehrung der
für jene Zwecke zu verwendenden Einnahmen durch eine neue Ordnung der
Stempelgesetze und der Brausteuer erstreben zu sollen. Schon bei der
Eröffnung des Reichstags im Februar 1879 hat Se. Majestät der Kaiser
im Hinblick auf das Gesetz vom 21. Oktober 1878 der Zuversicht Ausdruck
gegeben, daß der Reichstag seine Mitwirkung zur Heilung sozialer Schä-
den im Wege der Gesetzgebung auch ferner nicht versagen werde. Diese
Heilung wird nicht ausschließlich im Wege der Repression sozialistischer Aus-
schreitungen, sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des
Wohles der Arbeiter zu suchen sein. In dieser Beziehung steht die Für-
sorge für die Erwerbsunfähigen unter ihnen in erster Linie. Im Interesse
dieser hat Se. Majestät der Kaiser dem Bundesrath zunächst einen Gesetz-
entwurf über Versicherung der Arbeiter gegen die Folgen von Unfällen
zugehen lassen, welcher einem in den Kreisen der Arbeiter wie der Unter-
nehmer gleichmäßig empfundenen Bedürfniß zu entsprechen bezweckt. Se.
Majestät der Kaiser hofft, daß derselbe im Principe die Zustimmung der
verbündeten Regierungen finden und dem Reichstag als eine Vervollstän-
digung der Gesetzgebung zum Schutze gegen sozialdemokratische Bestrebungen
willkommen sein werde. Die bisherigen Veranstaltungen, welche die Ar-
beiter vor der Gefahr sichern sollten, durch den Verlust ihrer Arbeitsfähig-
keit in Folge von Unfällen oder des Alters in eine hilfslose Lage zu ge-
rathen, haben sich als unzureichend erwiesen, und diese Unzulänglichkeit hat
nicht wenig dazu beigetragen, Angehörige dieser Berufsklasse dahin zu führen,
daß sie in der Mitwirkung zu sozial-demokratischen Bestrebungen den Weg
zur Abhilfe suchten. In demselben Stadium befindet sich bisher ein Gesetz-
entwurf, der auf einem nahe verwandten Gebiete die Verhältnisse der In-
nungen zu regeln bestimmt ist, indem er die Mittel gewähren soll, die
isolirten Kräfte der in gleichartigen Gewerbszweigen beschäftigten Personen
durch ihre Zusammenfassung in corporative Verbände zu stärken und da-
durch ihre wirthschaftliche Leistungsfähigkeit sowohl wie ihre sittliche Tüch-
tigkeit zu heben. In wiederholten Beschlüssen hat der Reichstag dem Wunsche
Ausdruck gegeben, daß die Versorgung der Hinterbliebenen von Reichs-
beamten gesetzlich geregelt werde. Es wird Ihnen demgemäß ein Gesetz-
entwurf zu Gunsten der Wittwen und Waisen dieser Beamten zugehen. Im
Gebiet der Strafrechtspflege hat die bedenkliche Zunahme von Verbrechen
und Vergehen, welche im Zustande der Trunkenheit verübt worden und
in Folge Dessen einer strafrechtlichen Ahndung sich entziehen, das Bedürfniß
einer Ergänzung der bestehenden Strafgesetzgebung ergeben. Ein hierauf be-
züglicher Gesetzentwurf wird Ihrer Beschlußnahme unterbreitet werden.
Einige Abänderungen der Reichsverfassung, welche die Feststellung
des Reichshaushaltsetats für einen Zeitraum von je zwei Jahren zu er-
möglichen bezwecken, waren Ihnen bereits in der verflossenen Session vor-