66 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (27. — Ende April.)
eine Herabsetzung der Exportbonifikation um 60 d, statt nur um
40 d, wie die Regierungsvorlage will.
Börsensteuerkommission: lehnt schließlich definitiv den Gesetz-
entwurf Wedell und eine Resolution des Fürsten Hatzfeldt ab, nimmt
einstimmig den Antrag an, die Petitionen gegen das bestehende
Reichsstempelgesetz dem Reichskanzler als „Material für eine künftige
Revision“ zu überreichen, und beauftragt den Fürsten Hatzfeldt mit
dem schriftlichen Referate. Die Beratungen der Kommission haben
also zu dem vorauszusehenden Resultate geführt, daß die stärkere
Heranziehung der Börse wohl von vielen gewünscht wird, daß aber
niemand weiß, auf welche Weise dieser Wunsch erfüllt werden soll.
27. April. (Preußen.) Ein Erlaß der Regierung in Posen
ermäßigt ihren Erlaß vom 7. April betr. die ausschließliche An-
wendung der deutschen Sprache bei Erteilung des katholischen Re-
ligionsunterrichts in der Mittel= und Oberstufe der öffentlichen und
der Privatschulen dahin, daß die Anordnung nur da in Kraft kritt,
wo die Kinder polnischer Zunge in der Kenntnis der deutschen
Sprache soweit vorgeschritten sind, daß ein richtiges Verständnis
auch bei der Unterweisung in der deutschen Sprache erreichbar ist.
29. April. (Deutsches Reich.) In Chemnitz findet ein
zweiter antisemitischer Kongreß statt. Derselbe ist sehr schwach be-
sucht und nimmt eine von Liebermann beantragte Resolution folgen-
den Inhalts an:
Der „Kongreß halte unverändert an dem Standpunkte fest, der (voriges
Jahr) in Dresden durch Istoczys Manifest und durch Stöckers Thesen aus-
gesprochen wurde, nachdem man aus letzteren alle Punkte entfernt, welche nur
den spezifischen Anschauungen eines Teiles der ankisemitischen Partei ent-
sprechen. Der Vorwurf atheistischer Bestrebungen und einer Spalkung inner-
halb der eigenen Partei sei unbegründet; ein religiöser Standpunkt dürfe
jedoch bei Behandlung der Judenfrage nicht in den Vordergrund gestellt
werden, um dem Vorwurf religiöser Intoleranz zu entgehen. Als Ge-
sinnungsgenosse sei jeder praktische Christ ohne konfessionellen Unterschied will-
kommen. Die Antisemiten identifizieren sich mit keiner politischen Partei,
weisen aber die Mitwirkung keiner derselben zurück.
30. April. (Preußen.) Abg.-Haus: beendigt die 2. Lesung
des Verwaltungs-Organisationsgesetzes. Dasselbe ist fast durchweg
gemäß den Anträgen der Kommission mit unwesentlichen redaktio-
nellen Anderungen angenommen worden. Die Regierung scheint
mit dem Resultat zufrieden zu sein, da sie in der Hauptsache ihre
Absicht erreicht hat.
— April. (Deutsches Reich.) Wieder sind mehrere deutsche
Beamte von der türkischen Regierung für ihr Reorganisationswerk