Das deutsche Reich und srine einzelnen Glieder. (Mai 1.5.) 69
harrt aber auf der „Aufforderung“ und auf seinem Antrag, obgleich die
Kommission die Notwendigleit einer gesetzlichen Regelung der bezüglichen
Fragen mit großer Mehrheit verneint und sich von der durch den Kriegs-
minister mit (Ermächtigung des Kaisers abgegebenen Erklärung befriedigt
erklärt hat. Der Kriegsminister weist ziffermäßig nach, daß die Kon-
kurrenz, welche die Militärindustrie der Privatindustrie mache, nur äußerst
unerheblich und die Klagen darüber sehr übertrieben seien. Jeht sei die
Adresse berechtigt, aber der Antrag, den Reichskanzler „aufzufordern“, lasse
bei der Wahl dieses Ausdrucks vermuten, daß der Neichs etag auch die Macht
haben müsse, seiner „Aufforderung" Nachdruck Zu verschaffen, denn das
bedeute der Ausdruck „auffordern“; das sei aber nicht der Fall. Im
Gegenteil bedente der Antrag einen direkten Eingriff in die Machtbefugnis
des obersten Kriegsherrn. Der Kaiser selbst habe Anordnungen zu treffen,
die Heeresverwaltung dieselben nur einfach aus zuführen. Er bitte, den An-
trag Richter in jeder Form abzulehnen. Windthorst lehnt den Antrag
Richter namens des Zentrums, Heydemann namens der Nationalliberalen
ab. Richter beharrt: sein Antrag sei nur eine Konfequenz des Etaterechts
des Reichstages. Die Abstimmung erfolgt, da es sich um eine bloße Reso-
lution hanbelt. erst bei der dritten Lesung.
Der Eindruck ist allseitig der einer empfindlichen Niederlage des Abg.
Richter in seiner Agitation gegen das Militär. Derselbe rächt sich dafür in
den nächsten Tagen dadurch, daß er mit Hilse der Fortschrittepartei sowohl
den Reichstag als das preuß. Abg.-Haus, deren Nebeneinandertagen allerdings
fortwährend mit großen Unzukömmlichkeiten verbunden ist, auszählen läßt
und dadurch eine der Etatslesung zu widmende Sitzung vereitelt.
Zuckersteuerkommission: stößt ihren Beschluß, die Kürzung der
Exportbonifikation auf 60 d zu erhöhen, wieder um und nimmt mit
10 gegen. 8 St. die Regierungsvorlage (blos 40 d) unverändert an.
4. Mai. (Deutsches Reich.) Ein Handels= und Schiff-
fahrtsvertrag mit Italien wird in Berlin unterzeichnet.
Derselbe sichert Deutschland wesentliche Vorteile, aber ebenso auch
Italien. Der dadurch mutmaßliche Ausfall in dem Erträgnisse der Zölle
wird aus 1.501.150 M. angeschlagen. Es ergibt sich daraus, daß der Reichs-
kanzler unter gewissen Voraussetzungen Handels zerträgen selbst auf Kosten der
Reichseinnahmen nicht unbedingt abhold ist. In diesem Fall dürften jene
Voraussetzungen freilich mehr politischer als wirtschaftlicher Natur sein.
5.—7. Mai. (Deutsches Reich.) Reichstag: 1. Lesung des
Etals für 1884 85, der mit 105 gegen 97 Stimmen nach einem
Antrage Richters ganz der Budgetkommission überwiesen wird.
Die Debatte leitet Staatssekretär Burchardt ein, indem er, an-
knüpfend an die kaiserliche Botschaft, die Einbringung des Etats im gegen-
wärtigen Augenblicke rechtfertigt und die wesentlichen Ziffern desselben her-
vorhebt, der überall die bei Feststellung des lanfenden Etats gefaßten Be-
schlüsse des Reichstags möglichst berücksichtigt und die damals vorgenommenen
Abstriche in der Regel nicht wieder hergestellt habe. Bamberger (Sez.)
beharrt bei seiner Auffassung, daß die jetzige Feststellung des Etats, der erst
in jast einem Jahre in kraft trete, nicht opportun sei: der Ernteertrag und
sonstige Eventnalitäten ließen sich auf so lange Zeit nicht voraussehen und
berechnen, der ganze Entwurf beruhe auf unzuverlässigen Grundlagen. Er
unterzieht die sozialpolitischen Bestrebungen einer umfassenden Beurteilung