Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierundzwanzigster Jahrgang. 1883. (24)

72 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 3.) 
Das Resultat der Abstimmung erregt in der Versammlung Aufsehen, 
indem dabei die nat.-lib. Partei den Ausschlag für den Antrag Richter ge- 
geben hat. Die „Nat.-lib. Korr.“ erklärt indes, daß die Partei für die 
Überweisung des ganzen Etats von Anfang au gewesen sei, weil die ge- 
wohnken Voraussetzungen für überweisung nur eines Teils diesmal nicht vor- 
handen waren und daß sie daher für  den Antrag Richter gestimmt habe, ob- 
gleich er von diesem allerdings im Sinn einer verschleppenden Tendenz be- 
gründet worden sei. 
5. Mai. (Preußen.) Der preußische Gesandte in Rom 
richtet an das päpstliche Staatssekretariat Jacobini folgende Ant- 
wort der preußischen Regierung auf seine Note vom 7. April d. J.: 
„Durch die Note Sr. Eminenz des Herrn Kardinal-Staatssekrekärs 
Jacobini vom 7. April ds. Jrs. ist die königliche Regierung von neuem in 
der Überzeugung bestärkt worden, daß die Erfüllung der Anzeigepflicht im 
Prinzip von der Kurie zugestanden werden kann. Se. Heiligkeit will indes 
die Bischöfe erst dann dazu ermächtigen, wenn die preußische Regierung auf 
andern kirchenpolitischen Gebieten gewisse Gegenkonzessionen gemacht haben 
wird. Die preußische Regierung ist ihrerseits nach wie vor bereit, den römi- 
schen Wünschen entgegenzukommen, sobald mit der Erfüllung der gesetzlichen 
Anzeigepflicht der Anfang gemacht sein wird. Es handelt sich also in der 
Hauptsache um die Frage der Priorität derjenigen Zugeständnisse, 
welche im Prinzip auf beiden Seiten als möglich gedacht werden. 
Wenn die königliche Regierung auf die Anzeigepflicht einen hervorragenden 
Wert legt, jo handelt es Jich für sie einmal um die Ehrenfrage der Be- 
handlung auf gleichem Fuße mit anderen Regierungen, welchen diejenige 
Mitwirkung der weltlichen Behörden bei Berufung katholischer Geistlichen 
jederzeit unbedenklich eingeräumt worden ist, welche Preußen versagt wird. 
Aber abgesehen von dieser Formfrage, bildet die Mitwirkung der weltlichen 
Autorität bei übertragung geistlicher Amter die Vorbedingung für die 
Möglichkeit gemeinsamer Arbeit der weltlichen und geistlichen Behörden an 
der Erhaltung und Befestigung ihres Einvernehmens. Die königliche Re- 
gierung sieht in der Anzeige und in den sich an dieselbe knüpfenden Ver- 
handlungen und Verständigungen der geistlichen und weltlichen Organe die 
Vorbedingung und den Anknüpfungspunkt wohlwollenden Zusammen= 
wirkens derselben; ohne letzteres hat die Anzeigepflicht für die weltliche 
Regierung mehr formalen als praktischen Wert. Der Staatsregierung 
werden in den meisten Fällen die anzustellenden Priester weniger genau be- 
kannt sein, als den geistlichen Behörden; die Regierung wird also da, wo 
sie keinen Widerspruch erhebt, deshalb doch keine Sicherheit haben, daß sie 
mit den neu anzustellenden Geistlichen auf die Dauer in friedlichen Be- 
ziehungen bleiben wird. Die Anzeigepflicht und die vorgängige Erörterung 
einer Anstellung ist von hohem Werte, wenn das Verfahren von dem Geiste 
friedlichen Zusammenwirkens beider Teile getragen wird. Sie verliert 
aber an ihrer Wichtigkeit, wenn beide beteiligten Mächte — die weltliche 
und die geistliche — sich kämpfend oder doch ohne die Absicht der gegen- 
seitigen Unterstützung gegenüberstehen. Alsdann wird der Staat seine 
Sicherheit gegen unverträgliche Beamte der Kirche mehr in Re- 
pressiv= als in Präventivmaßregeln suchen müssen. Der Präventiv- 
maßregel der Anzeigepflicht wird gerade aus diesem Grunde von der preußi- 
schen Regierung eine hohe Bedeutung beigelegt, weil sie für ein System fried- 
lichen Einverständnisses unentbehrlich scheint. Findet letzteres nicht statt, so 
sieht sich der Staat schließlich genötigt, seine Beziehungen zur 
 
	        
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