Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierundzwanzigster Jahrgang. 1883. (24)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 5.) 73 
römischen Kirche danernd im alleinigen Wege seiner Gesetzgebung 
zu regeln. Er wird dann den katholischen Preußen alles zu gewähren 
haben, was mit dem unentbehrlichen Maße staatlicher Autorität verträgiich 
ist, über diese Linie hinaus aber das weltliche Gesetz ungemildert durch Ver 
ständigung mit geistlichen Organen walten lassen. Dann wird für den 
Staat die Anzeigepflicht nahezu entbehrlich. Er würde dann die Wahrung 
seiner Autorität und des konfessionellen Friedens durch eine repressive Wir- 
kung seiner Gesetze zu erstreben haben. Die königliche Regierung wünscht, 
auf diesen Weg nicht gedrängt Zu werden, und würde ihn erst betreten, 
wenn sie die Hoffnung auf einen Erfolg der schwebenden Verhandlungen auf- 
geben müßte; sie hält an dieser Hoffnung jest, so lange ihr die Aussicht, 
ihre Rechte und Interesien bei Anstellung von Geistlichen auf der Basis der 
Anzeigepflicht mittels Verstndigung wahren Zu konnen, nicht abgeschnitten 
wird. In diesem Sinne ist die lönigliche Regierung bereit, der Kurie die 
Gestattung der Anzeige durch Einschränkung der Kategorieen, für welche sie 
beansprucht wird, zu erleichtern. Die Kurie wird einen Beweis des ernst- 
lichen Strebens der Regierung nach friedlichem Zusammenwirken darin er- 
kennen, wenn die königliche Regierung ihre Geneigtheit ausspricht, im Wege 
der Gesetzgebung auf die Anzeigepflicht bezüglich eines Teiles, der 
Geistlichen zu verzichten. Wenn die königliche Regierung die über- 
zeugung hat, in den sonstigen Fragen zu einer Verständigung zu gelangen, 
so würde diejelbe bereit sein, wie es schon in Artikel 4 der Vorlage von 
1882 in Aussicht genommen war, die Zuständigleit des Gerichtshofs auf dem 
Gebiete der Anzeige zu beseitigen und das Verlangen vorgängiger Benennung 
auf die mit Seelsorge verbundenen Benefizien (Denelices harochinng) sowie 
auf die Pfarrverweser und auf die wegen der hohen administrativen und 
politischen Bedenkung wichtigen höheren Kirchenämter, Generalvikare, Dekane 
u. s. w., zu beschränken, die nicht beuesigierten Hilfs geistlichen 
aber davon ausnnehmen. Wenn der Fürst Bismark hoffen dürfte, daß 
eine Gesetzesvorlage in dieser Richtung die Bereitwilligkeit der Kurie zur 
Gestattung der Anzeige herbeiführte, so würde derselbe geneigt sein, eine solche 
bei Sr. Majestät und beim Staatsministerium zu befürworten. Es würde 
auf diesem Wege die Möglichleit für die Geistlichkeit geschaffen, da, wo 
jetzt Seelsorger mangeln, ohne Mitwirkung der Regierung Abhilfe zu treffen 
und insbesondere das ungehinderte Messelesen und Spenden der Sakramente 
ür alle Fälle zu sichern, indem diese Funktionen durch nicht benefizierte 
Hilfsgeistliche versehen werden könnten, sobald dieselben ohne Anzeige nur 
en allgemeinen gesetzlichen Erfordernissen für die Vornahme geistlicher Amts- 
handlungen, wie beispielsweise Indigenat, Vorbildung und den sonstigen Be- 
dingungen genügen, welchen alle Geistlichen der christlichen Kirche dem Staate 
gegenüber zu entsprechen haben. Aus der Beilage Zu der Note Sr. Eminenz 
vom 7. April ds. Jrs. hat die königliche Regierung ersehen. daß das von 
ihr schon bisher geleistete Entgegenkommen von dem Verfasser jener Beilage 
nicht vollständig gewürdigt worden ist; so ist das wissenschaftliche Staats- 
examen bereits durch Artikel 3 der Novelle vom 31. Mai 1882 virtuell be- 
seitigt, so sind Knaben-Alumnate inzwischen auf der Grundlage des gemeinen 
Rechts in Fulda und Paderborn bereits eingerichtet und der Eröffnung von 
Priesterseminarien gur praktischen Ausbildung  stehen erkennbare Schwierig- 
keiten unseres Wissens nicht entgegen. Die königliche Regierung ist über- 
zeugt, daß die Divergenzen beider Teile sich auch in anderer Richtung geringer 
erweisen werden, als sie scheinen, wenn die Kurie sich dazu verstehen will, 
die Anzeigepflicht in dem oben erwähnten eingeschränkten Maße erfüllen zu 
lassen und dadurch den Boden praktischer Verständigung zu betreten. Es 
würde dann der Regierung möglich sein, über den Artikel 5 der Vorlage 
 
	        
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