Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierundzwanzigster Jahrgang. 1883. (24)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 4—.) 85 
die Gehilfen und Arbeiter der Verbandsmitglieder mit einem Verbandsarbeits- 
buche versehen und die Mitglieder verpflichtet werden, von einem näher zu 
bezeichnenden Zeitpunkt an nur solche Gehilfen und Arbeiter zu beschäftigen, 
welche mit einem solchen Arbeitsbuche versehen sind. Die Arbeitsbücher der 
verschiedenen Verbände sind möglichst gleichmäßig in Übereinstimmung mit 
den Arbeitsbüchern für Arbeiter unter 21 Jahren einzurichten.“ 
4. Juni. (Preußen.) Abg.-Haus: die Polen, unterstützt 
vom gesamten Zentrum, interpellieren die Regierung neuerdings 
über die Verfügung der Regierung in Posen bez. der Erteilung des 
katholischen Religionsunterrichts in deutscher resp. polnischer Sprache, 
die ihren berechtigten Forderungen noch nicht genüge. Das Haus 
ist so ziemlich allseitig damit einverstanden. Der Unterrichtsminister 
gibt beruhigende Zusicherungen. 
5. und 7. Juni. (Deutsches Reich.) Reichstag: genehmigt 
in 2. und 3. Lesung die Herabsetzung der Steuervergütung beim 
Export von Rübenzucker, unter Ablehnung aller weitergehenden An- 
träge, nach der Vorlage der Regierung mit größter Majorität und 
ebenso die von der Kommission beantragte Resolution betr. eine 
Enquete über den Rübenbau und die Zuckerfabrikation durch Sach- 
verständige. 
5.—11. Juni. (Deutsches Reich.) Reichstag: 2. Lesung 
des Etats für 1884,85 und Erledigung desselben, soweit es zur 
Zeit Überhaupt möglich ist. 
Der Regierung ist damit ihr Wille geschehen; aber ob dadurch für 
die Einführung zweijähriger Etats irgend etwas gewonnen worden, ist eine 
andere Frage. Durch die Verweisung des Etats für 1884/85 an die Budget- 
kommission wurde der Beginn der Plenarberatung um vier Wochen hinans- 
gerückt, aber es ist kaum ersichtlich, daß dadurch zu einer gründlicheren und 
vollständigeren Beratung viel beigetragen worden sei. Die Kommission hatte 
den natürlichsten Weg eingeschlagen, der sich unter den obwaltenden Um- 
ständen darbot, nämlich für die dauernden Positionen möglichst den laufenden 
Etat zur Nichtschnur Zu nehmen, für die einmaligen aber mit größter „Spar- 
samkeit“ zu verfahren, und es ist dabei alles eher begreiflich, als daß es erst 
der Kommission bedurfte, um zu so einfachen Maximen zu gelangen. Daß 
die Regierung nicht zum besten dabei steht, haben wenige Tage genügt klar- 
zustellen, und man wird sich wohl doppelt bedenken, diesen Präzedenzfall vor- 
weg genommener Etatberatung für die Einführung zweijähriger Etats zu 
brent denn jede Nachtragsforderung zur Ergänzung der in den wirklichen 
Bedarf gerissenen Lücken wird den Gegnern jenes Plaues nur neue Waffen 
in die Hand geben. Vielleicht aber wird man gerade durch den Ausgang 
dieses Versuchs zu der Einsicht gebracht, daß es für ein großes Staatswesen 
ein Schwergewicht der Zweckmäßigkeit gibt, welches sich auch nach den Er- 
fahrungen von Mittelstaaten nicht willkürlich verrücken läßt, und daß. wenn 
einmal die jährliche Berufung des Reichstags eine unabweisliche Forderung 
aufrichtiger Reichsgesinnung bleibt, welche bis jetzt eine Partei den Mut gehabt 
hat zu verleugnen, der Reichstag für diese jährliche Versammlung keine 
näherliegende Ausgabe findet, 7 sich von der augenblicklichen Finanzlage zu