92 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 11—15.)
vermittelnden Natur Bennigsens, zwischen den beiden Extremen lediglich ver-
mitteln zu wollen. Etwas anderes ließ aber die unerquickliche Stellung der
nationalliberalen Partei zum Reichskanzler in der That kaum mehr zu.
11.— 12. Juni. (Preußen.) Abg.-Haus: 1. Lesung der kirchen-
politischen Vorlage. Dieselbe wird einer Kommission von 21 Mit-
gliedern überwiesen.
Die Debatte ergibt, daß die Konservativen die Vorlage als einen
weiteren Schritt zum Frieden begrüßen und von vornherein annehmen, daß
dagegen das Zentrum sie in dieser Gestalt für unannehmbar erachtet und
von der Kommissionsberatung eine Erweiterung der in der Vorlage aller-
dings liegenden Konzessionen erwarlet, resp. behufs seiner Zustimmung for-
dert. Die Freikonservativen ertlären sich für die Vorlage, aber zugleich
auch, daß die Bestimmungen des Art. 4 der Vorlage betr. die Vorbildung
der katholischen Geistlichen für. sie die conditio sine qua non für die An-
nahme des Gesetzes bilden. Die Nationalliberalen scheinen noch unent-
schieden zu jein, ob das Geset anmmnehmen oder abzulehnen, vorerst aber
eher dem letzteren zuzuneigen. Die Fortschrittspartei behauptet ihre bis-
herige zweideutige Stellung; doch meint Virchow; die Freiheit, welche Windt-
horst meine, jei etwas ganz anderes, als diejenige, welche die Liberalen
meinten; die Freiheit, wie sie die Kirche verlange, sei am letzten Ende die
Freiheit nur des Papstes; die Berechtigung dieser Forderung bestritten die
Liberalen; es werde des halb kaum möglich sein, im Wege der Gesetzgebung
eine Ausgleichung zu finden.
12. Juni. (Deutsches Reich.) Reichstag: 3. Lesung des
Etats für 1884/85. Schluß der Session durch eine kaiserl. Botschaft.
12. Juni. (Preußen.) Herrenhaus: die Kommission des-
selben beschließt auf Ablehnung der Kanalvorlage Dortmund-Unter-
ems anzutragen.
13. Juni. (Preußen.) Die Regierung macht zunächst an
sechs weitere Bahnen Verstaatlichungsofferten. Dieselben werden
allgemein als verhältnismäßig hohe und für die Bahnen annehm-
bare bezeichnet und man sieht in den hohen Angeboten einen Be-
weis, daß die Regierung jetzt mit aller Energie die Durchführung
der Verstaatlichung der Eisenbahnen in die Hand nehmen will. An
einen Widerstand der Privatbahnen ist bereits nicht mehr zu denken,
höchstens an Versuche, noch bessere Bedingungen zu erlangen.
14. Juni. (Preußen.) Durch einen Zirkularerlaß der Posener
Regierung an die Kreisschnlinspektoren wird, auf Veranlassung des
Kultusministers, die Zurücknahme aller auf Grund der Verfügungen
vom 7. und 27. April getroffenen Anordnungen betreffs der Er-
teilung des katholischen Religionsunterrichts in deutscher Sprache
angeordnet.
15. Juni. (Deutsches Reich.) Der Kaiser geht zunächst
nach Wiesbaden, um später nach Mainau und von da nach Gastein