Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierundzwanzigster Jahrgang. 1883. (24)

Das deutsche Reich und feine einzelnen Glieder. (Juni 17—20.) 95 
auf die Vorbildung der Geistlichen bezüglichen Vorschriften mit der Novelle 
von 1882 ihren endgültigen Abschluß erreicht habe. Sei daher die Aufrecht= 
erhaltung des § 4 für ihn und seine Freunde conditio sine dua non für 
die Zustimmung zu dem gesetzgeberischen Plane der Vorlage;, so sei ihnen 
jede über die Vorschläge der letzteren hinausgehende Abschwächung des be- 
stehenden Staatskirchenrechts selbstredend völlig unannehmbar.“ Die Organe 
der Konservativen, namentlich die Kreuzzeitung, bemühen sich ihrerseits, 
die Beschlüsse der kirchenpolitischen Kommission als gänzlich unverfänglich 
darzustellen. Die Kommission, d. h. die Konservativen, sei den Wünschen 
des Zentrums nur soweit entgegengekommen, als es sich um die Befriedigung 
des Bedürfnisses der katholischen Bevölkerung handle. Offenbar aber hat 
der Art. 4, der das Einspruchsrecht des Staates bei geistlichen Ernennungen 
betrifft, mit dem Bedürfnis  der katholischen Bevölkerung, die Lücken in der 
Seelsorge ausgefüllt zu sehen, absolut nichts zu thun. Nicht die Konserva- 
tiven, sondern die Klerikalen weigern sich, durch Annahme dieses Artikels 
das Einspruchsrecht des Staates an zuerkennen, und weil dem so ist, haben 
die Konservativen gegen den für sie annehmbaren, für das Zentrum aber 
angeblich unannehmbaren Art. 4 gestimmt, obgleich der konservative Kultus- 
minister erklärte, an diesem Artikel. festzuhalten. Durch diese Nachgiebigkeit 
der Konservativen ist das Zentrum in die Lage gekommen, die Konzessionen 
der Regierung einzustreichen, ohne seinerseits irgend ein Zugeständnis an die 
Auffassung der Regierung zu machen. Und doch ist es unzweifelhaft, daß 
das Zentrum, wenn es vor der Alternative gestanden wäre, die Vorlage mit 
dem Art. 4 anzunehmen oder das ganze Gesetz scheitern zu lassen, es vor- 
gezogen haben würde, für den „unannehmbaren" Art. 4 zu stimmen. Die 
Fortschrittspartei legt ihre zweideutige Stellung gegenüber dem Ultra- 
montanismus neuerdings an den Tag, indem von den zwei fortschrittlichen 
Kommissionsmitgliedern das eine für, das andere gegen das Elaborat der kon- 
servativ-ultramontanen Koalition stimmt. 
Die Beratungen der Kommission haben noch ein weiteres Ergebnis 
zu Tage gefördert: Die Konzessionen der Regierung an Rom haben mit dieser 
Vorlage noch nicht ihren Abschluß gefunden. Der Kultueminister hat in der 
Kommission erklärt, die Revision der Mai-Gesetze werde fortgesetzt, die preu- 
ßische Gesandtschaft bei dem Vatikan unter allen Umständen aufrechterhalten 
werden. Die Unterhandlungen mit der Kurie haben also ihr Ende nicht 
erreicht. 
17. Juni. (Baden.) Das Ministerium wird vom Groß- 
hergog in liberalem Sinne ergänzt, indem er den bisherigen Landes- 
kommissär Eisenlohr zum Ministerialdirektor des Innern und zum 
stimmführenden Mitglied des Staatsministeriums ernennt. 
20. Juni. (Elsaß-Lothringen.) Der Statthalter geneh- 
migt ein neues Regulativ für die höheren Schulen der Reichslande. 
Das neue Regulativ bietet ein hervorragendes Interesse durch die 
daraus zu entnehmenden Fortschritte, welche das Deutsche als Unterrichts- 
sprache nei, der Wiedervereinigung Elsaß-Lothringens mit Deutschland ge- 
macht hat. In dem neuen Regulativ befindet sich der folgende Passus (67) 
„Die Unterrichtssprache in allen höheren Schulen ist die deutsche. Für das 
französische und gemischte Sprachgebiet, dessen Abgrenzung für diesen Zweck 
dem Oberschulrat überlassen bleibt, darf der letztere bis auf weiteres ge- 
statten, daß in solchen Volksschulklassen, deren Schüler teilweise französisch 
als Muttersprache reden, der Unterricht außer im Französischen auch in an- 
  
 
	        
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