100 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 28.)
Man befinde sich jetzt vor der Entscheidung, denn wenn die Gesetze
jetzt keine Annahme fänden, so würde die Selbstverwaltungsorganisation für
lange Zeit vertagt. Die Freunde der Selbstverwaltung müssen sich fragen,
ob die Vorteile der jetzigen Beschlüsse schwerer wiegen, als die Nachteile.
Die Gesetze bedeuten die Rückkehr zu den staatsmännischen Grundgedanken
der Kreisordnung, welche leider durch die erige Gestaltung der Verwal-
tung verlassen worden seien. Die Verwaltungsrechtspflege sei, bei Licht be-
sehen, doch nur ein Teil der Verwaltung, es müsse daher, wenigstens in den
Spitzen, die Verwaltungerechtspflege mit der Verwaltung in Verbindung
bleiben. Dies sei erreicht worden, trotz des Widerspruchs derer, die eine
doktrinäre Trennung der Behörden aufrecht erhalten wollten, weil eben alle.
die praktisch mit der Selbstverwaltung zu thun gehabt, die Notwendigkeit
der Vereinigung im Interesse der Vereinfachung erkannt haben. Was den
§ 13 anlange, so würde die Regierung ohne Besinnen seine Ablehnung for-
dern, wenn sie in dessen jehiger Fassung eine Beeinträchtigung des Rechtes
der Krone erblicken würde; das sei aber nicht der Fall, weil durch die Ent-
scheidung des Ministers jenes Recht gewahrt erscheine.
Der Ausdehnung der Selbstverwaltungsorganisation auf die
neuen Provinzen steht also jetzt nichts mehr im Wege.
Abg.-Haus: 3. Lesung des Gesetzentwurfs betr. Behandlung
der Schulversäumnisse. Windthorst und das Zeutrum bekämpfen
das Gesetz und künden dem Staat nach Beseitigung des Kultur-
kampfs laut den „Kampf um die Schule“ an und setzen durch Unter-
stützung eines Antrags der Fortschrittspartei eine Bestimmung durch,
welche die Regierung für unannehmbar erklärt hatte. Das Gesetz
wird dadurch als gescheitert betrachtet.
Das Gesetz erhält durch die Frage des „Kampfs um die Schule“ eine
Bedeutung, die es an sich nicht hätte. Windthorst erklärt sich von vorne-
herein entschieden gegen das Gesetz, gegen den Schulzwang und gegen das
Staatsschulmonopol. Unterrichtsminister v. Goßler: Er halte die Ent-
wickelung des preußischen Schulwesens für eine absolut gesunde und so
lange er auf seinem Platze stehe, werde er diesen Standpunkt nicht verlassen.
Niemals werde der Staat den Ast absägen, auf dem er sitze und das sei der
Schulzwang. Er wiederhole daher, so lange er an dieser Stelle stehe, werde
er sich das Prinzip des Schulzwangs nicht verkümmern lassen. Windthorst:
Wemn der Herr Minister sagt, so lange er hier stehe, werde die Sache sich
nicht ändern, so muß ich gestehen, daß ich bedauern würde, wenn der Herr
Minister nicht mehr da wäre, wenn die Sache sich ändert; denn ändern wird
sie sich. Ad. Wagner (konserv.): Er spreche zwar ohne Auftrag, aber er
glaube die ganze konservative Partei hinter sich zu haben, wenn er erkläre,
daß der Standpunkt des Ministers in der Schulfrage von derselben geteilt.
werde. An dem Schulzwang müsse festgehalten werden denn durch ihn sei
Preußen das geworden, was es heute sei. Es handle sich um ein wesent-
liches Staatsinteresse, an dem die konservative Partei jederzeit festhalten
werde. Zelle (Fortschr.): dankt dem Minister für seine Ausführungen, mit
denen er vollständig übereinstimme. Er achte nicht nur, sondern er fürchte
auch Herrn Windthorst wegen der parlamentarischen Macht, die er in Händen
habe; aber er nehme keinen Anstand, mit ihm den Kampf um die Schule auf-
Zunehmen, so hart und heiß, wie zu der Zeit, da es hieß: Hie Welf, hie
Weiblingen:! Reichensperger-Köln (ultram.): ist ganz mit Windthorst