Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierundzwanzigster Jahrgang. 1883. (24)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dez. 1.) 167 
für diesen eher eine Quelle von Verlegenheit als von Genugthunng 
werden. 
8. Dezember. (Württemberg.) Zum erstenmal tritt auch 
hier die Sozialdemokratie wie in Berlin bei den im Gang befind- 
lichen Gemeindewahlen auf den kommunalen Kampfplatz. In Eß= 
lingen, Kannstatt, Besigheim haben sie von den ihrigen durchgebracht, 
teils im Bunde mit der Volkspartei, teils als selbständige Arbeiter= 
partei. Als solche tritt sie auch in Stuttgart auf. 
In einer Reihe öffentlicher Versammlungen verkündigt die Partei ihr 
Programm. Es besteht in folgenden Forderungen: 1) Aufhebung der lokalen 
indirekten Steuer auf Lebenemittel (sogenannter Oltroi); 2) Aufhebung des 
Volksschulgeldes als eines Aktes ausgleichender Gerechtigkeit, da die Stadt 
jährlich etwa 100 .M für den Schüler der höheren Lehranstalten ausgebe 
und nur etwa 30 —44 für den Volksschüler; 3) Einsetzung eines lokalen 
Fabrikinspektors, da die staatlichen, für das ganze Land eingesetzten beiden 
Inspektoren nicht genügten; 4) Einteilung der Stadt in Gemeinderatswahl-  
bezirke, um das Wahlgeschäft, das bisher in dem Rathaus zentralisiert ist, 
bequemer zu machen und eine Verantwortlichkeit der einzelnen Gemeinderate, 
gegenüber ihren Bezirken zu erzielen. 
9. Dezember. (Deutsches Reich.) Das dänische Kronprinzen= 
paar besucht Berlin und den Kaiserhof, von dem es aufs freund- 
lichste aufgenommen wird. 
10. Dezember. (Preußen.) Abg.-Haus: Kommission für die 
Kreis= und Provinzialordnung Hannover: beschließt durch eine Koa- 
lition der Konservativen und Ultramontanen gegen die Regierung, 
mit 15 gegen 6 Stimmen, die Einführung der Amtsvorsteher, wie 
ihn die Kreisordnungsprovinzen haben, abzulehnen, und bezüglich 
der Zusammensetzung des Provinziallandtags mit 11 gegen 9 Stim- 
men, daß nicht die Kreisvertretungen, sondern Großgrundbesitz, Klein- 
grundbesitz und Städte als getrennte Wahlkörper eine gesetzlich be- 
stimmte Zahl von Abgeordneten wählen sollen. Die Regierung be- 
kämpft beides, kann aber gegen die Koalition nicht aufkommen. 
10. Dezember. (Elsaß-Lothringen.) Der Landesausschuß 
wird in Vertretung des Statthalters durch den Staatssekretär Hof- 
mann mit einer rein geschäftlichen Ansprache eröffnet. 
Unter den Vorlagen der Regierung ist keine, welche dem Lande eine 
Erweiterung feiner Antonomie in Aussicht stellen würde. Diese ist allerdings 
urch sehr beschränkt. Der Landesausschuß besitzt nur eine beratende Stimme 
und seine Beschlüsse bedürfen teils der Zustimmung der Regierung, teils der 
des Bundesrats; auch hat er in diesem noch keine stimmberechtigte Vertretung 
166. der Statthalter ist mit sehr weittragenden persönlichen Machtvollkommen= 
heiten ausgestattet. Zu weiteren Konzessionen ist aber die Zeit in der That 
noch nicht gekommen. Zugestanden muß unbedingt werden, daß offener Wider- 
stand gegen die Gesetze oder gegen die Organe der Regierung nur äußerst
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.