168 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dez. 11.—12.)
selten vorkommt. Dagegen hat der Fall Antoine neuerdings gezeigt, daß
eine durchaus französisch gesinnte Protestpartei besteht, welche entschieden hoch-
verräterische Gesinnungen gegen die deutsche Herrschaft nährt, wenn sie auch
außer stande ist, sie in Thaten umzusetzen, die gesetzlich strafbar wären. Ein
erheblicher Teil der Bevölkerung ist dieser Partei gegenüber wenigstens völlig
passiv und ist dies auch sonst in nicht unbedenklicher Weise. So ist die
Zahl der Militärflüchtigen noch immer eine sehr große. Allein aus dem
loyalsten Kreise des Landes, Hagenau, sind gegenwärtig nicht weniger als
120 junge Leute vor den Strafrichter geladen, weil sie sich dem deutschen
Militärdienst durch Answanderung entzogen haben, und in einer anderen Ge-
meinde von 600 Einwohnern kam in diesem Jahre der Fall vor, daß die-
selbe nicht einen einzigen Mann für den deutschen, dagegen zwei für den
französischen Militärdienst stellte. Ahnliches wird noch aus vielen anderen
Gemeinden berichtet. Die Zustände bessern sich, aber eben doch nur sehr
langsam.
11. Dezember. (Preußen.) Die Direktion der Berlin-Ham-
burger Eisenbahn und ihre Aktionäre sind nicht zufrieden mit dem
Angebot der preußischen Regierung.
Die Hamburger Bahn ist indes noch ungleich besser gesichert als die
Bremer Staatsbahnen. Die von Bremen und Hannover gemeinschaft-
lich gebauten Bahnen wurden 37 Jahre lang gemeinschaftlich geführt. In-
dessen hatte Hannover sich das Kündigungerecht vorbehalten. Der Ertrag
der Bahn hat sich allmählich sehr gehoben, und so hat die preußische Regie-
rung von ihrem Kündigungsrecht Gebrauch gemacht. Die Bremer klagen,
daß jetzt, wo das Geschäft besser ginge, sie aus der Gemeinschaft heraus-
geworfen würden. Indessen pflegt jedermann, wenn er das Recht auf einen
Vorteil hat. von diesem Rechte Gebrauch zu machen. Für die Bremer geht
übrigens nicht nur der steigende Gewinn verloren, sondern sie berechnen, daß
sie bei dem Kaufpreis von 36 Millionen, den Preußen ihnen zahlt, gegen
11 Millionen am Anlagekapital verlieren.
11. Dezember. (Preußen.) Nachwahlen gur Berliner Stadt-
verordnetenversammlung: in der ersten und zweiten Abteilung dringen
alle 4 Kandidaten der Fortschrittspartei durch, in der dritten Ab-
teilung dagegen 1 Kandidat der Fortschrittspartei und 2 Kandi-
daten der Arbeiterpartei, während in einem vierten Wahlkreis eine
Stichwahl stattfinden muß.
12. Dezember. (Deutsches Reich.) Zwischen Deutschland
und Belgien wird eine Literar= und Musterschutzkonvention, ähnlich
wie mit Frankreich, in Berlin abgeschlossen.
12. Dezember. (Bayern.) II. Kammer: die Regierung ver-
langt von derselben einen Kredit von 11,286,300 M behufs Her-
stellung einer Reihe von Sekundärbahnen. Die Kammer genehmigt
die provisorische Erhebung des bisherigen Malzaufschlags und wird
dieselbe, wie vorauszusehen, auch definitiv gewähren müssen, da die
Finanzlage einen so großen Ausfall, wie er mit einer auch nur
teilweisen Ermäßigung verbunden wäre, unmöglich gestattet.
