170 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dez. 15 1.)
punkt, den er einnehme, würde jede monarchische Regierung einnehmen. Er
anerkenne, daß keinen Beamten positive Nachteile für seine politische Haltung
treffen dürften, aber er deutet an, daß ein Beamter, der der Politik der Re-
gierung widerstrebe, allerdings auf Beförderung oder besondere Belohnungen
(Gratifikationen) nicht rechnen dürfe; übrigens seien derartige Versagungen
bisher nur solchen Beamten gegenüber erfolgt, welche der Regierung agita-
torisch und dauernd oppositionell entgegentraten. v. Zedlitz (freikonserv.)
kommt auf die Eröffnungen Puttkamers vom. 5. d. M. zurück und erklärt
sich auch namens seiner Partei gegen jede Anderung des geheimen Abstim-
mungsmodus bei den Reichstagswahlen.
Mitte Dezember. (Deutsches Reich.) Der Reichskanzler
empfängt in Friedrichsruhe den französischen Botschafter de Courcel,
was auffällt, da er seit Jahren keinen der in Berlin beglaubigten
Gesandten dort zu empfangen pflegt. Man nimmt an, es handle
sich um Tongking und China, wo Frankreich mit andern Mächten
leicht in Verwickelungen geraten könnte. Der Reichskanzler soll nun
den Botschafter neuerdings darüber beruhigt haben, daß Deutsch-
land nicht daran denke, Frankreich in seinen Kolonialunterneh-
mungen irgendwie zu behindern.
5.—23. Dezember. (Deutsches Reich.) Der Kronprinz
landet wieder in Genna, wo er von den Abgesandten des Königs
Humbert und einem italienischen Geschwader begrüßt wird, reist
von da, überall von der Bevölkerung aufs wärmste bewillkommt,
nach Rom und nimmt hier im Ouirinal Wohnung. Großartige
Festlichkeiten zu seinen Ehren: die alte Freundschaft zwischen den
beiden fürstlichen Familien wird erneut und von der Bevölkerung
Roms in jeder Weise bekräftigt. Gleich nach seiner Ankunft im
Ouirinal läßt er durch den preußischen Gesandten v. Schlözer dem
Papst seinen Besuch anzeigen und unterzieht sich dabei den von der
Kurie gestellten überaus kleinlichen Bedingungen: der Besuch erfolgt
nicht vom Quirinal, sondern vom Palast Caffarelli aus und der
Kronprinz fährt von da in einfachem Mietwagen nach dem Vatikan,
wo ihn dagegen der Papst seinerseits mit wahrhaft königlichem
Pomp empfängt. Die Entrevue selbst ist durchaus freundlich und
insoweit befriedigend. Der Papst erwidert den Besuch seinerseits
nicht. Soviel steht sest: der Kronprinz ist nicht der Träger irgend
welcher Vorschläge oder besonderer Instruktionen. Die mißtrauische
öffentliche Meinung sowohl Deutschlands als Italiens kann sich
darüber vollständig beruhigen. Die Zusammenkunft bleibt denn
auch zunächst ohne irgend welche erkennbaren Folgen. Dagegen
scheint in dem Besuch des künftigen dentschen Kaisers in Nom und
im Quirinal eine ernenerte Anerkennung feitens des deutschen Reiches