188 Die Oeflerreichisch-Angarische Monarchie. (März 5.)
zur Sprache. Diese Unterdrückung, die von der Regierung in jeder
Weise begünstigt und unterstützt wird, obgleich die Ruthenen fast
die Hälfte der Bevölkerung Galiziens ausmachen, ist in der That
ein wahrer Hohn auf die angebliche „Gleichberechtigung der Natio-
nalitäten", welche die Regierung auf ihre Fahne geschrieben hat
und die von den Cezechen so erfolgreich gegen die Deutschen Böhmens
ausgebeutet wird. Die Polen machen nur schwache Versuche, sie zu
bestreiten; die Regierung und die Czechen schweigen.
5.—17. März. (Ungarn.) Reichstag: Generaldebatte über
den Mittelschulgesetzentwurf des Unterrichtsministers Trefort und der
Unterrichtskommission. Die Vertreter der nicht-magyarischen Natio-
nalitäten und der Konfessionen greifen denselben, hinter die unleug-
baren historischen Rechte der Kirchen und Konfessionen verschanzt,
energisch an. Die Minister Tisza und Trefork trelen dagegen für
die Rechte des Staats bez. der Schule ein und suchen die Besorg-
nisse der Nationalitäten und unter diesen namentlich die der Deutschen
möglichst zu beschwichtigen.
Die Interessen des Staats, der Nationalitäten und der Konfessionen
geralen in der Debatte vielfach scharf aneinander und es zeigt sich dabei
neuerdings und auch in dieser Frage, daß Ungarn noch kein moderner Staat
ist, sondern erst darnach ringt, einer zu werden, und zwar unter großen
Schwierigkeiten. Namentlich die Konfessionen spielen in Ungarn eine nicht
bloß kirchliche, sondern noch vielfach auch politische Rolle, die ihnen der
moderne Staat unmöglich ugestehen kann und die er ihnen im mittleren und
westlichen Europa fast überall bereite entzogen hat. Der Staat ist daher durch-
aus in seinem Recht, wenn er die Oberaufsicht und die oberste Leitung des ge-
samten Schulwesens, die er gesetzlich zwar schon besitzt, die aber praktisch
bisher gar nicht durchgeführt ist, zu einer Wahrheit machen will. Die
Schwierigkeit gegenüber den Konfessionen liegt darin, daß diese und nicht der
Staat die Mittelschulen gegründet haben und sortwährend materiell aus ihren
Mitteln erhalten und daß die nichtmagyarischen Nationalitäten in den Kon-
jessionen ihren Schutz gegen die Magyarisierungsgelüste der Regierung suchen
und finden. Den Nationalitäten gegenüber ist aber die Regierung entschieden
im Unrecht, wenn die Regierung dahin strebt, für die Mittelschulen auch der
deutschen, flovakischen, serbischen und rumänischen Nationalität allmählich
nur Lehrer mit durchaus magyarischer Bildung zuzulassen. Und das ist
allerdings ihr Bestreben. Was sie damit bezweckl, darüber lassen die magya-
rischen Verfechter des Mittelschulgesebentwurfes leinen Zweifel. Der Abg.
Grumvald erklärt ganz offen, daß die Erhaltung des magyarischen Stammes
wesentlich davon abhänge, daß er seiner kulturellen Mission gerecht werde.
Die Suprematie desselben gegenüber den übrigen kleineren Volksstämmen
könne nur durch das kulturelle Ubergewicht desselben erhallen werden. Die
Maggyarisierung der unteren Schichten der übrigen Nationalitäten sei undurch-
führbar, doch wäre es wohl ausjührbar, daß die höheren Gesellschaftsklassen,
wenn auch nicht entnationalisiert, so doch jewent mit magyarischem Geiste er-
füllt werden, daß sie die ungarische Sprache als die ihrige ausehen. Der
gegenwärtige Zustand der Mittelschulen entspricht diesem kulturellen und