4
222 Die Oesterreichisch-Angarische Monarchie. (Ang. 1—3.)
1. August. (Böhmen.) Nieger wendet sich namens des Klubs
der czechischen Landtagsabgeordneten an den Klub der deutschen Ab-
geordneten mit dem Vorschlage, es möge seitens der deutschen Ab-
geordneten eine Komité gewählt werden, das mit einem solchen der
czechischen Abgeordneten zusammentreten und über Vorschläge be-
raten solle, auf welche Weise eine Verständigung zwischen den beiden
Volksstämmen zu erzielen wäre. Der Klub der deutschen Abgeord-
nelen beschließt jedoch einstimmig, den Antrag abzulehnen.
Rieger weist in seinem Schreiben an den deutschen Klub auf die
Gefahr hin, daß „die eine oder die andere Nationalität durch den Wechsel
der Majoriläten oder durch Gunst oder Ungunst der einer festen Norm ent-
behrenden Behörden in ihrem Nechte verkürzt und in ihrer nationalen Ent-
wickelung gehemmt werden lönnte“, verlangt daher eine „Garantie für die
durch das Staatsgrundgeset festgestellte. nationale Gleichberechtigung in Schube.
Amt und öffentlichem Leben“, sähe eine solche in einem „freien, durch d
beiden Volkestämme zu vereinbarenden und unter den besonderen Schutz de r
Krone zu stellenden Pakt“ und briugt dafür namens des czechischen Klubs
„Abstimmung im Landtag nach nationalen Kurien oder dergleichen“ für die
Zukunft in Vorschlag. Schmeykal lehnt namens des deutschen Klubs den
Vorschlag des czechischen in ausführlicher Begründung ab, deren Hauptstelle
folgendermaßen lautet: „Die Bestimmungen über den Gebrauch der verschie-
denen Sprachen in Amt, Schule und öffeutlichem Leben können nach unserer
Meinung nicht für Böhmen, noch überhaupt für ein einzelnes Land allein
im Wege der Landesgesegebung festgestellt werden. Die Ordnung muß vom
österreichischen Standpunkte nach den Bedürfnissen des Reiches, nach allge-
meinen Grundsätzen gelroffen werden, und der Ort hiefür sind nicht die
Landtage, sondern der Neicherat. In dieser verschiedenen Beurleilung
der vorliegenden Frage kommt eben wieder deutlich der große prinzipielle
Gegensatz zum Auedruck, der unsere Meinungen über die österreichischen Ver-
hältnisse überhaupt trennt. Bährend Ihre Partei immer von der Vorstellung
eines abgeschlossenen böhmischen Rechtskreise- ausgeht und darum auch heute
noch nicht ihre früheren staatorechtlichen Anschauungen ausgegeben hat, stehen
wir nach wie vor auf dem Standpunkte der Einheit des österreichischen Staates
und wollen den Charakter, den ihm die geschichtliche Entwicklung gegeben
hal, auch fortan erhalten. Aber auch von dem Vorschlag betreffs der Ein-
teilung des Landtags in nationale Kurien zur Veratung aller die einzelnen
Nationalitäten berührenden Fragen, können wir eine wesentliche Verbesserung
der heutigen Verhältnisse nicht erwarten. Zwei Fälle könnten eintreten: ein-
mal könnte der große Teil der Gesetzgebungsarbeit an dem Veto der einen
oder der andern Kurie scheitern oder aber der Schwerpunkt der Beratung
würde in die nationalen Rurien verlegt werden, was einer parlamentarischen
Teilung der Landes aangelegenheiten gleichkäme, welche notwendig auch zu einer
administrativen Trennung führen müßte — eine Eventualität, welche
Sie selbst entschieden perhorreszieren. Zu leßterer Beziehung aber bonstatieren
wir allerdings die Thatsache, daß diese Lösung in immer weiteren Kreisen
unserer Bevölkerung als der letzte Ausweg aus den nationalen Zwistigkeiten
angesehen wird."
3.—5. August. (Ungarn.) Der für die Anlisemiten un-
günstige Ausgang des großen Judenprozesses von Tisza-Eszlar hat
in weiten Kreisen eine hochgradige Erbitterung gegen die Juden