Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierundzwanzigster Jahrgang. 1883. (24)

Dir Oesterreichisch-Ungarische Monarchie. (Ang. 12—15.) 225 
Debatte über eine Landtagswahlrejorm, welche den Höhepunkt des politischen 
Interesses am Landtage bezeichnete. Auch die Debatten über die Museums- 
und Thaaterfrage führten zu einem träftigen Anklingen des nationalen Gegen- 
satzes. Den größten Teil der Session füllten freilich politisch indifferente 
Traktanden aus. Bemerkt wird, daß alle wichtigeren Referate in den Händen 
der czechischen Majorität lagen und, trohdem der weitaus größte Teil der 
dentschen Abgeordneten notorisch der czechischen Sprache nicht mächtig ist, 
doch czechisch erstattet wurden. Dabei ergab es sich freilich, daß manche 
Cgechen ihrer Mutktersprache durchaus nicht wirklich mächtig sind, so daß 
B. ein gedruckter Bericht wegen sprachlicher Inkorrektheit einer völligen 
ümarbeitung unterzogen werden mußte und in einem anderen der genaue 
Sinn einzelner darin gebrauchter czechischer Worte zu langen Diskussionen 
Anlaß gab. 
12. August. (Ungarn.) Indenhetze in HOdenburg. 
15. August. (Ungarn: Kroatien.) Der magyarische Chau- 
vinismus macht den Versuch, durch den ungarischen Finanzdirektor 
David die Wappenschilder an den Finanzgebäuden in Agram mit 
bloß kroatischer Aufschrift durch neue mit magyarischer und kroa- 
tischer Aufschrift zu ersetzen, stößt aber auf energischen Widerstand. 
Die neuen Wappenschilder werden von Volksmassen herabgerissen 
und mit Füßen getreten. Das Militär schreitet ein und muß das 
Bajonnet gebrauchen: es kommen viele und schwere Verwundungen 
vor und erfolgen zahlreiche Verhaftungen. Der gelungene Versuch 
gestaltet sich zum Ausgangspunkt viel weiter reichender Ereignisse. 
Magyarischer und kroatischer Chauvinismus stoßen in dem Vorgange 
hart aueinander. Es ist kaum ein Zweifel, daß der Krawall das Werk einer 
blanmäßigen Vorbereitung war; die schnelle und geschickte Ausführung war 
denn auch im ersten Augenblik von vollem Erfolg. Es war nämlich be- 
kannt, daß die magyarischen Schilder schon lange in einem Zimmer des Amts- 
gebäudes aufbewahrt lagen. Doch hatte David gewartet, bis die Ferien ge- 
kommen und die Studenten in ihre Heimat abgereist waren, sowie der Banus 
seinen Urlaub augetreten hatte. In Agram berricht auch an den folgenden 
Tagen große Aufregung und die „Agramer Zig.", das Organ der kroatischen 
Landtagsmajorität und Nrgieruntespürtei erklärt die magyarische Aufschrift 
der Amtsschilder für illegal und kündigt der kroatischen Regierung des Banns 
Pajacsevicz in unzweideutiger Weise ihre Dienste, wofern sie sich dazu her- 
geben sollte, zur Wiederaufrichtung der herabgerissenen Schilder zu schreiten. 
Die politische Krisis in Kroatien ist damit fertig, wenn, wie zu vermuten 
und wie die magharische Presse verlangt, die ungarische Negierung in Pest 
auch ihrerseits beharrt 
Mitte August. (Oesterreich.) Die Klerikalen sind mit der 
reaktionären Volksschulnovelle noch lange nicht zufrieden und finden, 
daß auch die Durchführungsverordnung der Regierung ihren Be- 
strebungen bez. Herabsetzung der Schulpflicht und bez. größeren Ein- 
flusses der Kirche auf die Schule nicht genügend entgegenkomme. 
Sie haben daher bereits gegen die Durchführungsverordnung eine 
Schulthess, Curop. Geschichtekalender. XXIV. Vd.
	        
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