Die Oesterreichisch-Mngarische Monarchie. (Nou. 18 —17.) 2.11
setzentwurf über die Einführung der obligatorischen Civilehe ein-
zubringen.
Die überwältigende Mehrheit entipricht nicht gan! dem Stand der
Frage in der Bevölkerung, in der öffentlichen Meinung des Landes. Die
Abstimmung erfolgt nicht namentlich; außer den an Zahl sehr geringen
Antisemiten vermied jede Partei, den Antrag auf namentliche Abstimmung
Zu stellen, da bei solcher sehr viele Abgeorduete aus allen Lagern sich ab-
sentiert hätten; die Antisemiten aber vermochten für ihren Antrag auf nament=
liche Abstimmung die von der Geschäftsordnung geforderten zwanzig Unter-
schriften nicht aufzubringen. Bei der aljo nicht namentlichen Abstimmung
blieben nur 6 Anlisemiten, etwa 20 katholische Geistliche und vereinzelte
Abgeordnete aus allen Parteien sitzen. Allein im Lande ist die antisemitische
Strömung notorisch eine sehr verbreitete und sehr starke. Der Antrag
war denn auch von vorneherein eine Demonstration gegen diese Strömung
und gegen die vielfachen rohen Erfesse gegen die Juden gewesen, die Ungarn
in der öffentlichen Meinung Europas schweren Eintrag gethaun hatten. Allein
einem erheblichen Teile der liberalen Partei ging der Antrag nicht weit
genug, da er die Einführung der vollen obligatorischen Civilehe gewünscht
hätte, was jedoch Tisza und die Regierung für verfrüht hielten. Den katho-
lischen Bischöfen und den Katholiken ging dagegen der Antrag schon zu weil,
da sie von der Civilehe überhaupt nichts wissen wollen. Auch ist die Zu-
stimmung zu dem Beschlusse seitens der Oberhauses, in dem die katholischen
Bischöfe eine sehr gewichtige Rolle spielen, nichte weniger als sicher, obgleich
man hofft, daß dasselbe dieser überwältigenden Mehrheit gegenüber es nicht
wagen werde, sein V. Veto einzulegen. Für den Autrag Györys, welcher die
Regierung anweisen wollte, noch in dieser Session einen Gesetzentwurf über
die Einführung der obligatorischen Givilehe vorzulegen, und zwar in der
Weise, daß diese Vorlage noch in dieser Session Gesetz werden könne, stimmte
denn auch bloß die äußerste Linke; er wurde daher mit großer Majorität
abgelehnt.
18. November. (Böhmen.) In Prag wird das cgeechische
Nationaliheater mit großem Pomp eröffnet.
Der Eröffnung (durch die nationale Oper Libussaf wohnen der Statt-
halter von Böhmen, Baron Kraus, der Statthalter von Mähren, Graf Schön-
born, sowie polnische und ruthrnische Deputationen im Nationalkostüm bei.
Dagegen hält sich die deutsche Geselischaft Prags davon sern. Nieger feiert
das Ereignis in schwungvoller Rede. Die festlich geschmückten Straßen der
Stadt durchzieht eine nach Tausenden zählende Menge, nationale Lieder
singend; den czechischen Redaktionen werden Ovpationen bereitet. Abends
demonstriert. der czechische Pöbel vor dem deutschen Thrater und dem dentschen
Kasino. Die Befriedigung ist den Czechen wohl zu gönnen, nur sollien sie
nicht vergessen, daß ihre Sprache noch nicht einmal eine Kultursprache, ge-
schweige denn eine Weltsprache ist und auch nie werden wird. Sie wird
eben doch nur in einem verhältnismäßig kleinen Winkel Enropas gesprochen
und ihre Literatur ist noch höchst unbedentend; darin steht sic selbst dem
Polnischen und Magyarischen vorerst noch weit hurick. Bis aber die Slaven
in der Weltentwicklung an die Stelle der Germanen und der Romanen treten,
wird es noch Jahrhunderte dauern.
19. November. (Oesterreich.) Der Durchschlag des Arlberg-
Tunnels erfolgt in Anwesenheit des Handelsministers v. Pino im
Innern des Berges mit großer Festlichkeit.
Schullhess, GCurop. Geschichtskalender. XXIV. d. 10