261 Grohbrilannien. (März 20 Auf. April.)
20. März. Die Frage der Erbauung eines Tunnels und
einer Eisenbahn unter dem Kanal zwischen England und Frankreich,
die bereits von beiden Seiten in Angriff genommen ist und binnen
18 Monaten schon fertig sein könnte, gestaltet sich nachgerade zu
einer Frage ersten Ranges für England. In Frankreich stößt der
Plan auf gar keinen Widerstand, in England thut sich dagegen eine
wachsende und überaus heftige Opposition wider denselben auf, da
England dadurch entweder gezwungen würde, seine schwachen mili-
tärischen Kräfte total umzuwandeln, oder gewärtigen müsse, einer
französischen Invasion fast wehrlos gegenüber zu stehen. Ein großer
Teil der öffentlichen Meinung verlangt daher, daß entweder die Re-
gierung oder das Parlament die Fortsetzung der Arbeiten geradezu
verbiete.
Ende März. Unter den Tories ist notorisch eine Art Spal-
tung eingetreten: ein Teil der Partei ist mit dem bedächtigen und
vorsichtigen Vorgehen ihres Führers im Unterhause, Sir Stafford
Northcote, nicht einverstanden und der jüngere Heißsporn Lord Churchill
gibt sich alle Mühe, ihn zu verdrängen und sich an seine Stelle zu
setzen. Die Tories sind, wie die Einzelwahlen zeigen, unleugbar
wieder im Steigen. Vorerst aber beunruhigt sich die herrschende
Partei darüber nicht allzusehr, da sie der Meinung ist, daß den
Toryführern allen das Zeug zu einem wirklichen Staatsmanne fehle,
wie es Lord Beaconsfield allerdings befessen habe.
Anf. April. (Ostindien.) Mit Anfang dieses Monats sind
in gang Ostindien Kreistage in Thätigkeit getreten, deren Mitglie-
der teils gewählt, teils von der Regierung ernannt sind.
Während der zweijährigen Dauer ihrer Mandate sollen sie, wenn
Hindus, als Rao Vahadur, wenn Mohamedaner, als Khan Bahadur ange-
redet werden, was beides „hochwohlgeborner Herr“ bedentet. Bisher kannte
man Kreistage nur in einzelnen Provinzen und mit sehr beschränkten Be-
sugnissen; jetzt ist ihnen die gesamte Selbstverwaltung mit Ausnahme der
reinen Polizei überwiesen; auch fließt ein gewisser Progentsatz der direkten
Abgaben in die Kreiskasse. Die Regierung ist sich wohl bewußt, daß unter
dem neuen Verfahren die Geschäfte nicht leichter als bisher abgewickelt wer-
den, erachtet aber die Einrichtung als unerläßlich für die politische Erziehung
ihrer indischen Unterthanen. In Indien selbst hat sich ein Nationalver=
tretungsausschuß gebildet, an dessen Spitze die angesehensten Führer der Ein-
geborenen, zum Teil unleugbar hochgebildete Männer, stehen und in dem
Hindus, Mohamedaner und Perser einträchtig nebeneinander siben. Auch in
London bildet sich aus Eingeborenen, die in London wohnen, und einer Reihe
liberaler Parlamentsmitglieder ein „indischer Verein“, um von London aus
für die politische Hebung der Unterkhanen des englischen Reichs in Asien zu
wirlen. Zweigvereine sollen in allen größeren Städten Ostindiens angeregt
werden.