Uebersicht der polilischen Eunlwickelung des Jahrrs 1883. 413
verzweiselt wenig auch nur gewinnen zu können. Was hätte es
auch selbst im günstigsten Falle gewinnen können? Von einer
dauernden Angliederung deutscher Provinzen hätte doch gar keine
Rede sein können und selbst die Angliederung der noch halbpolnischen
Provinzen Preußens oder der flavischen Teile Oesterreichs wäre ein
schwieriges und weitaussehendes Unternehmen, zu dem die Zeit noch
nicht gekommen ist. Dagegen wäre eine Eroberung der Östseeprovingen
und eine Wiederherstellung Polens in seinen alten Grenzen, so wenig
auch Deutschland und speziell Preußen daran auch nur zu denken
geneigt sind, jedenfalls viel leichter; Rußland aber würde dadurch
vom Westen ganz abgedrängt und ihm ein Gegner in die Flanke
gesetzt, dessen Wiederbewältigung es jedenfalls gewaltige Anstreng-
ungen kosten würde. Die Polen setzten auf diese Möglichkeit denn
auch schon große Hoffnungen und thaten alles, was in ihren Kräften
stand, um Rußland und Deutschland gegen einander zu verhetzen,
allerdings ohne viel Erfolg. Alles das wurde den Russen, wenig-
stens der Regierung, allmählich klar.
Sobald aber die Idee einer enropäischen Katastrophe und die
eines förmlichen Krieges zwischen Nußland und Deutschland aufge-
geben werden mußte — wozu auch die Finangzlage und nicht am
wenigsten das ihrige beitrug —, was hatte denn die bloße Ent-
fremdung gegenüber Deutschland diesem geschadet, Rußland einge-
tragen? In der That nichts, weniger als nichts. Die Macht und
das Ansehen des Deutschen Reiches war seit 1879 beständig ge-
wachsen und dasselbe wurde in dem wohl am unbefangensten urtei-
lenden England von seiten beider Parteien offen und lant als der
gegenwärtige Schiedsrichter, der deutsche Reichskangler als der un-
bestrittene Leiter der europäischen Angelegenheilen anerkannt; das
Verhältnis zu Oesterreich war von Jahr zu Jahr nur immer enger
geworden und die Versuche, die der Minister der auswärtigen An-
gelegenheiten Rußlands, v. Giers, Ende 1882 und Anfangs 1883
versönlich in Berlin und in Wien gemacht haben soll, das Ver-
hältuis zu lockern, wohl schon damals in der Absicht, Rußland an
die Stelle Oesterreichs in ein näheres Verhältnis zu Deutschland
zu bringen, waren an beiden Orten abgeprallt; die Zustände auf der
Valkanhalbinsel endlich konsolidierten sich, wenn auch allerdings lang-
sam, auf der Grundlage des Verliner Vertrags trotz aller gelegent-
lichen Wühlereien der panflavischen Partei. Dazu kam im Jahre
1883 der offene Anschluß Serbiens und Rumäniens an das mittel-