Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierundzwanzigster Jahrgang. 1883. (24)

Uebersicht die polilischen Enlwickelung des Jahres 1883. 421 
ausfgenommenen Prolokollen hat aber nie etwas verlantet. Noch weniger 
jedoch ist das bezüglich der erneuerten Freundschaft mit Rußland der 
Fall. Die eine der beiden großen Gefahren, die dem Frieden Europas. 
drohten, ist damit thatsächlich weggefallen, während die anderc, diejenige 
von feiten Frankreichs, dadurch und sonst wenigstens stark Zurück getreten 
ist. Dennoch bestehen die Bündnisse alle fort, ja sind, selbst nachdem 
der nächste Zweck erfüllt erscheint, allem Anschein nach nur noch 
inniger geworden. Der Grund dieser Erscheinung kann, außerdem 
daß die Erhaltung des Friedens selbstverständlich der erste und letzte 
Zweck ist und bleibt, nur darin gesucht werden, daß die Bündnisse 
alle auf den sorgsältig abgewogenen realen Interessen aller dieser 
Staaten ruhen und ihnen für diese Interessen denjenigen Schutz 
und diejenige Sicherheit gewähren, die sie in Anspruch nehmen 
müssen, wenn sie sich nicht selbst ausgeben wollen. Mit zu- 
sammengehaltener Kraft wacht der deutsche Reichskangler über der 
gewissenhaften Beobachtung dieser Interessen und hütet sich wohl, 
in Beziehungen und Zustände eingugreifen, die ihn zunächst nicht 
berühren und den allgemeinen Frieden zunächst nicht bedrohen, oder 
läßt sie ruhig erst auf einen Punkt heranreifen, der sein Eingreifen 
erfordert, dann aber auch mit allgemeinem Einverständnis ermög- 
licht. Das Maßvolle dieser wahrhaft deutschen Polilik des Fürsten 
Bismarck wird denn auch allgemein anerkannt und gerade das 
Manvolle derselben ist es, was ihm den ungeheuren Einfluß, den 
er nach allen Seiten ausübt, verschafft hat und sichert. 
Menschlichem Ermessen nach ist eine Störung des Friedens, 
so lange die Leilung der europäischen Dinge in den Händen des 
deulschen Reichskanglers bleibt, nicht zu besorgen. 
Gegenüber den sich stetig ausdehnenden Friedensbündnissen blieb Frank. 
Frankreich nichts anderes übrig, als sich zur Geduld und zum Zu= reiche 
warten zu entschließen. Inzwischen sucht es sich für seine Verlusteenia 
zu entschädigen und seine Macht auszudehnen da, wo es kann, außer= bungen. 
halb Europas. Früher wohl war Frankreich auch eine große Ko- 
lonialmacht gewesen, aber die Zeit ist längst vorüber; bis auf kleine 
Reste sind ihm alle seine großen und zahlreichen Kolonien wieder, 
meist an die Engländer, verloren gegangen. Jeht tauchte die Er- 
innerung daran wieder mächtig auf. Sich bloß zu sammeln und 
inzwischen zu gedulden und die zweite Rolle in Europa zu spielen, 
entsprach dem Charakter der Frangosen ganz und gar nicht und er- 
schien ihnen als ein völlig unerträglicher Gedanke. War es vorerst
	        
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