Uebersicht der polilischen Enlwimelung des Zahrts 1883. 123
Zivilliste. VDon dieser Seite hatte Frankreich seither wesentlich Ruhe:;
dagegen war die Eroberung von Tongking noch ein großes Stück
Arbeit, da es nicht nur galt, die sämtlichen größeren Städte des
Landes nach und nach zu beseßen, den roten Fluß, die Lebensader
des Landes, von den sogenannten Schwarf#flaggen. einer Art See-
räuber, zu sänbern und die Chinesen, allem Anscheine nach reguläres
chinesisches Militär, aus den an die chinesischen Südprovinzen und
Grenzen stoßenden Gebieten zu vertreiben. Das letztere war die
Hauptaufgabe. Denn China behauptete nicht nur ein Snzeräni-
tätsrecht über ganz Anam-Tongking, sondern verlangte namentlich
und unter allen Umständen die Herstellung einer Art neutralen
Grenzgebietes zwischen den Frangosen und seinen Südprovinzen,
während jene gerade auf diesen Teil Tongkings um seiner Mine-
ralschätze willen, die lukrative Gründungen in Aussicht stellten,
ihre begierigen Augen geworfen und überdies die Absicht hatten,
jene Südprovinzen Chinas dem französischen und überhaupt euro-
päischen Handel, dem sie bisher noch verschlossen waren, zu er-
schließen. China ist bekanntlich in seiner Politik überaus zäh und
ein förmlicher und offener Krieg mit China, der schon bisher nur
nicht ausgesprochen, sondern unter dem Namen der Schwarzflaggen
geführt wurde, lag durchaus nicht außerhalb der Möglichkeit und
mußte von Frankreich wohl erwogen werden. An Truppenzahl wäre
es natürlich der handvoll frangösischer Eindringlinge mit der leich-
testen Anstreugung weit überlegen gewesen, an Kriegskunst und Kriegs-
mitteln kann es sich dagegen mit einer europäischen Macht unmög-
lich messen und darauf verließ sich Frankreich. Allein ein Krieg
mit China konnte leicht zu Verwickelungen mit europäischen Mächten
führen. Der Handel mit China, so weit er Europa erschlossen ist,
liegt vorzugsweise in den Händen der Engländer und nach ihnen
in denjenigen der Deutschen. Mit dem deutschen Reiche und dem
deutschen Neichskangler gelang es indes Frankreich sich zu verständi-
gen: Deutschland kaun unmöglich etwas dagegen haben, muß es
vielmehr nur gern sehen, wenn der unruhige französische National-
geist durch Kolonialunternehmungen und zwar in so weiter Ferne
von seinen Revanchegedanken abgelenkt und festgenagelt wird. Eng-
land hat dagegen das gerade entgegengesetzte Interesse: der so plötz-
lich und so gewaltig erstandene koloniale Nivale ist ihm unbequem
und sogar mehr als unbequem und so lange es wenigstens der Lei-
tung Gladstone's folgt, wäre es ihm jedenfalls lieber, wenn Frank-