Nebersicht der politischen Eulwichelung des Jahres 1883. 137
strebt, wenn er auch für zweijährige Elats im Reiche einsteht und
wenn er auch im Jahre 1883 eine Novelle durchgesetzt hat, welche
eine Anzahl Auswüchse der Gewerbefreiheit vielleicht nicht durchweg
in zutreffender Weise befeiligt, so ist das noch lange keine eigent-
liche Reaktion. Daß er eine solche anstrebt, dafür liegt doch
wahrlich gar nichts vor. Was er wirklich anstrebt und zwar
offen und ausgesprochener Maßen, ist eine Stärkung der Monarchie
und der in Deutschland mit der Monarchie ungertrennlich verbun-
denen Negierungsgewalt und was er allerdings mit allen seinen
Kräften bekämpft, ist die radikale Doktrin und das mit dieser gleich-
falls unzertrennlich verbundene Streben nach einer Parlaments-
herrschaft, weil sie nicht nur seinen politischen überzeugungen, son-
dern auch den bestehenden Zuständen und der Reichsverfassung durch-
aus widerspricht. Dagegen fällt es ihm ausgesprochener Maßen
durchaus nicht ein, die wirklichen, auf dieselbe Reichsverfassung ge-
gründeten Rechte des Parlaments auch nur im mindesten beschränken
zu wollen. Wenn der Reichstag eine seiner Vorlagen ablehnt, so
bringt er sie allerdings gelegentlich wieder und wieder, aber er ge-
steht dem Reichstag offen und unumwunden das Recht zu, sie seiner-
seits gleichsalls auch immer und immer wieder abzulehnen. Die
Initiative im großen und ganzen behält er eben sich selbst und
der Negierung energisch vor, während die radikale Doktrin dieselbe
auf das Parlament oder doch auf dieses in Verbindung mit einem
aus seiner jeweiligen Mehrheit hervorgegangenen und mit ihr Hand
in Hand gehenden Ministerium übertragen möchte. Und daß die
radikale Partei, auch wenn sie es prinzipiell nicht eingesteht, in
Wahrheit doch dahin neigt und, mehr oder weniger unbewußt, dahin
strebt, kann man ihr auch gar nicht zum Verbrechen machen. In
allen anderen konstitutionellen Staaten besteht dieses System ja
thatsächlich und grundgesetzlich. Aber in Deutschland besteht es nicht,
weder thatsächlich noch verfassungsmäßig, und so lange wenigstens
der Reichskanzler lebt, werden alle Bestrebungen der Radikalen in
dieser Richtung ganz vergebliche sein. In diesem Gegenfatze ist aber
ohne Zweifel der letzte Grund zu suchen, der Eugen Richter und
seine Partei immer aufs neue antreibt, dem Kanzler in allem und
jedem Hemmnisse zu bereiten. Zu stürzen vermögen sie ihn aller-
dings nicht, wohl aber sind sie, so lange die Zusammensetzung des
Reichstags nicht eine wefentlich andere wird, in der Lage, die Ar-
beiten des Reichstags zu einer Art Stillstand zu bringen und be-