410 Tebersicht der politischen Enlwichelung des Zahres 1883.
Wesen wo nicht ganz verschwunden, doch stark zurückgetreten und tritt
immer mehr zurück. Mit dem Kaiser stehen die Fürsten nachgerade
auf dem denkbar besten Fuße und der Bundesrat macht dem Reichs-
kanzler bereits gar keine ernsthafte Opposition mehr. Er scheint
die Nutzlosigkeit davon eingesehen zu haben und findet es vorteil-
hafler, dafür die äußerste Rücksicht und jedes mögliche Entgegen-
kommen für ihre Wünsche von seiner Seite einzutauschen. Als sein
Projekt eines Reichseisenbahngesetzes seiner Zeit an dem Widerstande
der Einzelstaaten scheiterte, griff der Kanzler sofort zur Eisenbahn-
verstaatlichung in Preußen und wird damit doch zu seinem Ziele
gelangen, wenn auch auf einem Umwege und etwas langsamer.
Preußen kann sich jetzt, da die Verstaatlichung so viel als abge-
schlossen ist, derselben nur freuen, da sie finanziell so bedeutende
überschüsse liefert, daß das Vudget für 1883/84 zum erstenmal
wieder ohne Defizit abgeschlossen werden konnte und es überdies
Verbindungen durch dieselbe erhält, zu denen es ohne die Verstaat-
lichung niemals gekommen wäre. Die frühere Opposition gegen
dieselbe ist denn auch fast ganz verschwunden. Schwieriger gestaltete
sich die auch für Preußen in Angriff genommene Steuerreform.
Der Neichskanzler schlug im Zusammenhange mit seinen sozialpoli-
tischen Anschauungen dem Landtage die Befreiung der vier untersten
Stufen der Klassensteuer von dieser und behufs Deckung des Aus-
falls die Einführung einer Lizenzsteuer auf Tabak und Branntwein
vor, die er später auf das ganze Reich auszudehnen gedachte. Schon
die vom Abgeordnetenhause dafür niedergesetzte Kommission lehnte
jedoch beides ab und das Haus gestand im Februar nur die Be-
freiung der zwei untersten Klassensteuerstufen zu und verlangte von der
Regierung statt der Lizenzsteuer durch eine Resolution die Anbahnung
einer Reform des gesamten direkten Steuersystems. Im Winter
machte dann die Regierung dem Landtage wirklich eine derartige
Vorlage betreffend Neueinteilung der Einkommensteuer und Ein-
führung einer Kapitalrentensteuer. Allein auch diese stießen, na-
mentlich die letztere, in der Steuerkommission des Abgeordnetenhauses
auf hartnäckigen Widerstand und haben kaum Aussicht auf Durch-
bringung. — Viel lebhafter aber noch konzentrierte sich das allgemeine
Der Interesse in und außer Preußen auf die Versuche, den Kulturkampf
see kwenigstens zu einer vorläufigen Erledigung zu bringen, und diese
waren von seite des Staates im Laufe des Jahres 1883 aller-
dings im höchsten Grade bedeutsame. Alle Welt wünschte die Been-