Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierundzwanzigster Jahrgang. 1883. (24)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 7—13.) 41 
kritischen Beleuchtung und erklärt, er und die Liberalen würden einer Steuer- 
reform im Reich, die z. B. Zucker und Branntwein stärker heranziehe, keines- 
weg feindlich gegenüberstehen. Das paßt aber den Konservativen nicht und 
Minnigerode will weitere Reichseinnahmen lieber von einer ausgiebigen 
Börsensteuer erhoffen. Bedeutsamer ist, daß Windthorst die Notwendigkeit 
neuer Reichssteuern ganz bestreitet, da die alten noch nicht einmal vollständig 
in Kraft getreten seien und wachsende Beträge in Aussicht stellten. Er werde 
ferner nur solche Reichssteuern bewilligen, die mit absoluter Sicherheit zur 
Entlastung der Einzelstaaten verwendet würden. Es wird bemerkt, daß der 
Führer des Zentrums in der heutigen kritischen Lage der kirchenpolitischen 
Ausgleicheverhandlungen plötzlich die Notwendigkeit neuer Reichesteuern nicht 
mehr einsieht, und darans geschlossen, daß das Zentrum nicht ungerne sähe, 
wenn die Regierung den kirchenpolitischen Verhandlungen mit der Kurie eine 
schroffe Wendung gäbe, sie vielleicht ganz abbräche, damit sie vom Zentrum 
als der unverträgliche und unversöhnliche Teil bezeichnet werden könnte. 
Gelegentlich des Etats des Innern führt der nordschleswigs'sche 
Abg. Lassen Beschwerde über das Vorgehen der Landräte gegen die 
in Nordschleswig sich aufhaltenden Dänen bezüglich des Militär- 
dienstes. Minister v. Puttkamer bedauert, daß die Angelegenheit 
nicht zum Gegenstand einer Interpellation gemacht worden sei, 
hätte dann mit besserem Material dienen können, und erklärt im 
weiteren: 
Die Maßregel würde im ganzen auf etwa vier bis fünfhundert Per- 
sonen Anwendung finden während in den fünf nordschleswig'schen Kreisen 
unter 250,000 Seelen sich 25,000 Ausländer befinden. Einem solchen Miß- 
verhältnis gegenüber müsse der Staat sein Interesse wahren. Die Verfügung 
sei nicht erlassen worden, ohne daß die dänische Regierung davon vertraulich 
benachrichtigt und ihr bewiesen worden sei, daß die Maßregel kein Ausfluß 
einer Animosität gegen Dänemark sei. Die Regierung habe nicht die sofortige 
Ausweisung ausgesprochen, um eine unnötige Härte zu vermeiden. Die Maß- 
regel entbehre jedes Terrorismus, und habe lediglich den Zweck, die Bevölke- 
rung vor eine neue Option zu stellen. Der innere Anlaß zu der Maßregel 
sei die Absicht der Regierung gewesen, die nationalen Interessen der preußi- 
schen Staates zu wahren. Es sei nicht zu dulden, daß zwei Teile einer Be- 
völkerung unter gleichen Verhältnissen, aber unter verschiedenen Rechtebeding- 
ungen leben. Die junge dänische Bevölkerung, welche vom Militärdienste 
frei sei, habe die preussischen jungen Leute aufgereizt, resp. zur Auswande- 
rung veranlaßt; das könne der Staat nicht dulden, am wenigsten an den 
Grenzen bei einer gemischten Bevölkerung. Hänel erkennt die sormelle und 
materielle Berechtigung der Maßregel der Regierung an, und spricht seine 
besondere Befriedigung darüber aus, daß die dänische Regierung von der 
Verfügung rechtgeitig benachrichtigt worden sei. Das Recht und die Interessen 
Preußens müßten gewahrt werden, dagegen müsse aber auch das internationale 
Verhältnis zu Dänemark gesichert werden, welches der Bedeutung dieses tüch- 
tigen Volksstammes entspreche. 
13. März. (Deutsches Reich.) Um die Krankenversicherung 
zu fördern, tritt die mit der Vorberatung des Krankenkassengesetz- 
entwurfes betraute Kommission mitten in der Vertagung des Reichs- 
lags zusammen, um die Feststellung des von dem konservativen Abg.