Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 28—.Ende.) 79
mit einer kleinen Milderung bez. der Zeitungsredaktionen. Schluß
der Session des Reichstags.
Die Hauptresultate der Session bestehen in dem Zustandekommen des
Unfallversicherungsgesetzes und in der Verlängerung des Sozialistengesetzes.
Die beiden großen Reden, welche der Reichskanzler am 15. und 20. März
bei den ersten Beratungen über die Unfallversicherung und über die Ver-
längerung des Sozialistengesetzes hielt, waren staatsmännische Leistungen ersten
Ranges, welche über seine Gesamtauffassung der Verhältnisse vieles Licht ver-
breiten. Dazu kam noch in den letzten Tagen die überraschende Mitteilung
seines Programms für die deutsche Kolonialpolitik. Neben diesen beiden Ent-
scheidungen haben alle anderen glücklich erledigten Arbeiten doch nur eine
untergeordnete Bedeutung und die Debatten über die Dampfersubventions-
frage und die neue Kolonialpolitik des Reichskanzlers ließen zuletzt in den
Gemütern eine tiefe Verstimmung zurück. Die ausschlaggebende Stellung des
Zentrums weist auf eine sehr ungesunde Sachlage hin, die freilich nur da-
durch möglich ist, daß eine zahlreiche Partei vorhanden ist, die in der Oppo-
sition als solche ihre Aufgabe erblickt.
30. Juni. (Deutsches Reich.) Der Reichskanzler verläßt
bereits Berlin, um sich nach Barzin zurückzuziehen.
30. Juni. (Deutsches Reich.) An diesem Tage sind auf
der Zoppoter Rhede nicht weniger als 22 deutsche Kriegsschiffe ver-
einigt, nämlich 5 Panzerkorvetten, 4 Panzerkanonenboote, 1 Fregatte,
2 Korvetten, 2 Briggs, 2 Avisos und 6 Torpedoboote. Dieselben
lichten am 1. Juli sämtlich die Anker und fahren nach der Gdingener
Bucht, um ein Landungsmanöver auszuführen, wobei die Danziger
Kavallerie mitwirkt.
— Juni. (Deutsches Reich.) Das Ableben des holländi-
schen Prinzen von Oranien und die dadurch eröffnete Erbfolgefrage
in Lugxemburg, wo der depossedierte Herzog von Nassau als der zu-
nächst erbberechtigte erscheint, veranlaßt folgende angeblich direkt
aus dem Kabinet des Herzogs stammende Darstellung seines Ver-
hältnisses zur Krone Preußen:
Somit ist der Herzog weder ein „Unterthan Preußens, noch ein
seiner souveränen Würde verlustig gegangener Fürst, noch endlich ein grollen-
der Prätendent auf den Thron eines wiederherzustellenden Herzogtums Nassau,
sondern ein Fürst, der zu regieren aufgehört hat und, ohne die Rechtszustände
von heute anzufechten, doch im Gemüt durch die 1866er Vorgänge noch zu
tief ergriffen ist, um sich, gern seinen Regierungsnachfolgern in Nassau per-
sönlich gegenüberzustellen.“
— Juni. (Preußen.) In Nordschleswig wird neuerdings
wieder stark in dänischen Umtrieben gemacht.
— Juni. (Preußen.) Das Dunkel, welches bezüglich der
früher vielbesprochenen „Welfenlegion“ bisher geherrscht hat, ist durch
den kürzlich erschienenen dritten Band der „Memoiren zur Zeit-