80 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Ende Juni — Anf. Juli.)
geschichte“ des Regierungsrates a. D. Meding, der einst König Georgs
Agent und Vertrauter war, aufgehellt worden. Danach wurde die
Welfenlegion gesammelt, um an der Seite der französischen Truppen
gegen Preußen zu kämpfen, was durch eigenhändige Briefe des
verstorbenen Ex-Königs von Hannover Georg V. und durch von
ihm ausdrücklich gebilligte Memoires zu Handen Napoleous III. er-
härtet wird.
Anf. Juli. (Deutsches Reich.) Die bereits begonnene Agi-
tation für die im Herbst bevorstehenden Reichstagswahlen führen zu
einer merkwürdigen Enthüllung des bayerischen nationalliberalen
Abg. v. Schauß über eine frühere Intrigue aus dem später sezessio-
nistischen Kreise, die dahin ging, den Reichskanzler durch Hrn. v. Stosch
zu ersetzen.
v. Schauß macht die Enthüllung in einem Briefe an den Bürger-
meister Michel von Neu-Bamberg, von wo ihm durch eine Vertrauensmänner-
Versammlung in Sprendlingen eine Reichstagskandidatur angeboten worden
war. Wie weit sie begründet ist, muß natürlich dahingestellt bleiben; indes
ist sie jedenfalls von historischem Wert. Dieselbe lautet: „Das Anerbieten
ist mir ein Zeugnis dafür, daß meine politische Haltung während des ver-
gangenen Jahrzehnts eine gerechtfertigte war. Dies ist. für einen Politiker
von Gewissenhaftigkeit kein geringer Trost, denn ohne innere Seelenkämpfe
und Zweifel, was man zu thun habe, geht es im parlamentarischen Leben
nicht ab. Im Jahre 1879 habe ich einen solchen Kampf mit mir selbst
durchgemacht, als ich alte Beziehungen politisch, mit meinem alten Freund
Bölk in Verbindung, zu lösen mich entschloß. Wir sind darüber vielfach,
häufig in der verletzendsten Weise geschmäht worden und hatten — Bölk
hat es leider nicht erlebt — die einzige Hoffnung, daß uns der Verlauf der
Ereignisse Recht geben wirde. Schon damals bereitete sich die Koalition des
Zentrums mit den Konservativen vor und war es vollkommen klar, daß
verbündeten Regierungen notgedrungen von derselben Gebrauch zu machen
sich entschließen würden, wenn die nationalliberale Partei eine absolut nega-
tive Stellung gegen die Reichsregierung für nötig hielte. Damals habe ich
den Abg. Hrn. Rickert, der nun wieder Hauptredner in Sprendlingen war,
nicht einmal, sondern wiederholt äußern hören, nun müsse ernstlich an die
Entfernung des Reichskanzlers aus seinem Amte gegangen werden. Den
Nachfolger hatte Hr. Rickert schon in der Tasche; dieser war der frühere
Minister v. Stosch, wie nun mit vollem Grund in den Zeitungen berichtet
wird. Der neueste Grund dieser Aktion war damals die Hoffnung, daß die
preußischen Ostseeprovinzen und die östlichen Häfen (Memel und Danzig) in
größere Protektion genommen würden. Die Leidenschaft dieser Kreise war
hauptsächlich dadurch gesteigert, daß man vom Getreidezoll eine Beeinträch-
tigung des Exports dieser Gegenden fürchtete welche deutsches und russisches
Getreide zu mischen pflegten und noch pflegen resp. Zoll auf die russische
Quote bezahlen müssen. Wenn man lange mitgearbeitet hat, findet man ja
gar hänfig, daß hinter den ganz patriotisch und volkstümlich klingenden
Reden ein ganz menschliches und nüchternes materielles Interesse steckt. So
ist die übertriebene Freihandelsbewegung nichts weiter als eine Bevorzugung
des Händlers, dem ganz gleichgültig ist, was er verkauft — gegenüber dem
Produzenten, und das ist der Landwirt, der Fabrikant u. s. w. Ich kann