Full text: Europäischer Geschichtskalender. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1884. (25)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juli 8.) 81 
natürlich nicht ausführlich sagen, welche Ansichten ich im einzelnen über die 
große Frage habe; aber das will ich doch hinzufügen, daß unser autonomer, 
durchweg sehr gemäßigter Zolltarif absolut keinen Schaden gebracht  hat. Alle 
Prophezeiungen sind in dieser Richtung zu Wasser geworden. Die Preise 
sind nicht zum Nachteil der Konsumenten gestiegen; der Export hat in dem 
größten Umfange zugenommen; die Industrie (Westfalen, Sachsen, Voigtland) 
hat wieder zu thun, und die Reichskasse hat noch dazu ein gutes Geschäft 
gemacht. Was meine Stellung zum Reichskanzler betrifft, über welche, um 
mich politisch zu ruinieren, so viel Unsinn verbreitet wurde, so will ich da- 
rüber nur weniges sagen. ,,Ich weiß, daß Fürst Bismarck nur solche Männer 
achtet, welche ihre eigene Überzeugung haben und welche nichts erstreben wollen. 
Mit anderen Worten: charaktervolle und unabhängige Leute! Ich werde nie 
und nimmer einer rückschrittlichen Maßregel zustimmen, durch welche etwa 
die konstitutionellen Freiheiten, Wahlrrecht,  Geldbewilligung u. s. w. beschränkt 
werden wollten und werde in diesen Fragen mich niemals von den Frei- 
sinnigsten trennen. Dagegen unterstütze ich aus vollster Überzeugung alle 
Unternehmungen, welche auf die Stärkung des Reiches und seine Macht- 
stellung nach außen abzielen. Man glaubt in weniger unterrichteten Kreisen 
gar nicht, wie sehr in vielen Fragen und hauptsächlich im Handel und Ver- 
kehr das Ansehen einer Nation wichtig ist. Wir können heute noch z. B. 
nach Australien die beste Qualität unserer Industrieerzeugnisse senden — wir 
werden sie nicht verkaufen, weil die englische Nation noch das hrößere An- 
sehen hat, und so sind unsere Kaufleute heute noch genötigt, auf deutsche 
Ware englische Fabrikmarken zu setzen. Ich bin viel gereist im Orient, in 
Europa und jüngst in Amerika. Unser Ansehen als Nation — glauben Sie 
mir aufs Wort — ist ganz unglaublich gewachsen und diese Stimmung kann 
zum Vorteil unseres Exports noch in kaum zu ahnenden Progressionen ge- 
steigert werden. In diesen Dingen nun sieht der Reichskanzler mit seinen 
großen, grauen Augen sehr weit, und sein Streben ist ein absolut patrio- 
tisches, nur auf das Wohl der Nation gerichtetes. Darum sehe ich mit 
einem gewissen Entsetzen, wie Männer scharfen Verstandes und unvergleich- 
licher Beredsamkeit, verblendet von ihrem Hasse gegen den Kanzler, auch in 
diesen internationalen Fragen die Opposition auf die Spitze treiben und letzteren 
an der wundesten Stelle zu treffen suchen.“ Rickert bestreitet in der 
„Danziger Zeitung“ die Angaben resp. Beschuldigungen v. Schauß' durch- 
aus, ohne sich jedoch in weitere Erörterungen einlassen zu wollen, bevor ihm 
nachgewiesen werde, wo er die ihm zugeschriebenen Äußerungen gethan und 
worin die Aktion für Hrn. v. Stosch bestanden, haben soll. v. Schauß läßt 
sich jedoch darauf nicht ein. Übrigens hat auch der Reichskanzler öffentlich 
behauptet, daß in einem gewissen Zeitpunkte eine Intrigue gegen ihn habe 
ins Werk gesetzt werden wollen und Stosch gegen ihn als künftiger Reichs- 
kanzler ausgespielt werden sollte. Was wirklich daran war und welche Per- 
sonen dabei beteiligt waren, wird freilich kaum jemals eruiert werden. 
8. Juli. (Deutsches Reich.) Ende der Flottenmanöver in 
der Ostsee. 
Das Übungsgeschwader begibt sich nach kurzem Aufenthalt in der 
Kieler Fährde nach der Nordsee und sucht im September zur  Ausführung 
von Festungs- Kriegsübungen, an denen sich eine große Zahl von noch nicht 
in Dienst gestellten Panzern beteiligt, Kiel wiederum auf. Bei diesen Herbst- 
übungen soll ein Torpedomanöver die Hauptrolle spielen, und zwar werden 
Torpedoboote verschiedenster Konstruktion zur Anwendung kommen, um ein 
endgültiges Urteil über die Leistungsfähigkeit der einzelnen zu gewinnen. Zu 
gleicher Zeit dürfte die Grundsteinlegung der neuen Marineakademie statt- 
Schulthess. Europ. Geschichtskalender. XXV. Bd. 6
	        
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