Krankreich. (April 15.) 253
Bezüglich jener kommt namentlich die Frage der Versassungs=
reform in Betracht. Darüber unn äußert sich Ferry dahin: „Sich auf der-
selben Stelle herumdrehen, heißt seine eigene Ohnmacht darthun, und wir haben,
wie ich glaube, seit unserem Regierungsantritt genug gehandelt, Fragen ge-
reist und andere gelöst, um nicht den Vorwurf u verdienen, daß wir Frank-
reich zum Stillstehen verdammen wollten. So haben wir dem Reformgeiste,
der Fortschrittspartei die Revision der Verfassung veriprochen. In einigen
Wochen werden wir diesem Versprechen gegenüber gestellt sein, und werden
es sicherlich halten. Den aufrichtigen Nepublikanern, welche sich deshalb
Sorgen machen und nicht durch eine starke Strömung der öffentlichen Meinung
zu dem Problem hingerissen fühlen. sagen wir: Gerade weil in der öffent-
lichen Meinung keine starke Strömung zu Gunsten der Revision besteht, muß
dieselbe durchgeführt werden! Gestatten Sie mir auch, hinzuzufügen, warum
die Bewegung ausbleibt geil neben den Anhängern der Verfassungs-
revision, welche aueblsbl und stärken wollen, das Land diejenigen am Werke
sieht, welche man die Anhänger der revoluntionären Nevision nennen könnte,
weil sie offen die Absicht bekennen, die Verfassung zu zerstören und über den
Haufen zu werfen. Ig, diese revolntionäre Arbeit der Revisionsliga ist es,
welche die öffenkliche Meinung abgekühlt hat; aber gerade weil in dem Lande
keine starke Strömung herrscht, können die öffentlichen Gewalten, mit mehr
Sammlung und ohne von außen gedrängt zu werden, an das große Problem
herantreten; gerade darum ist es politisch, es jetzt zu lösen. Wer könnte
Ihnen verheißen, daß sie in zwei oder drei Jahren die nämlichen so be-
ruhigenden Zustände nüchterner Erwägung, der Weisheit und Geistesfreiheit
finden würden? übrigens können wir denen, welchen die Revision Bangen
einflößt, noch sagen, daß die Männer, die eine andere Nevision als die unfrige
wollen, felbst dafür Sorge getragen haben, daß die Grenzen zwischen den
beiden deullich abgesteckt erscheinen. Heute sind die Stellungen eingenommen,
die Lager mit Wällen umzogen, die Banner wehen im Winde, und niemand
wird uns im Verdacht haben, daß wir die Revision durch eine Konstitnante
oder durch einen Appell an das Volk wollen. Wir wollen die Nevision,
wie die Verfassung selbst sie gestattet. Wir halten es nicht für unmöglich,
eine Lösung zu finden, welche von 320 Abgeordneten und 160 Senatoren
genehmigt wird. Es gibt ein Turchschnittemaß der Verfassungsrevision,
welches nicht überschritten werden darf, weil es die Durchschuittsforderungen
des republikanischen Landes darstellt, und wenn wir die Majorität des Senats
durch bestimmte Erklärungen und Bürgschaften bernhigt haben werden —
die erste Bürgschaft muß in der kategorischen Betenerung bestehen, daß die
Nevision nur eine streng beschränkte sein kann — dann wird man gewiß
einsehen, daß die Frage weniger schwer zu lösen und weniger verwickelt ist,
als man allgemein glaubt. Was uns belrifft, jo handeln wir in dieser An-
gelegenheit, wie in allen anderen, mit Aufrichtigleit. Rechtlichkeit und Ent-
schlossenheit.“ —— Bezüglich seiner auswärtigen Politik liegt Ferry in
erster Linie seine Koloninobti- am Herzen. deren Vorzüge er proklamiert:
Die Expansionspolitik, welche die wahre Form und die einzige fruchkbringende
Form der Politik der Sammlung, ist desinitiv durch die Nation adoptiert
und ratifiziert worden.“ Ohne von der Befriedigung des nationalen Stolzes
zu reden, habe die öffentliche Meinung, abgesehen von einigen „roten Be-
leidigern" und „weißen Verleumdern“ sich ganz allgemein für die Kolonial=
politik, für Tunis und Tongking entschieden, und zwar erstens wegen der
einleuchtenden Vortheile dieser Unternehmungen, und zweitens wegen ihrer
relativ leichten Durchführbarkeit.
15. April. Der Strike in Anzin ist beendigt.